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Der Turm

Der Turm

Titel: Der Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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Bücher zu beschaffen, die für Leute aus dem Westen interessant sein könnten, denn wenn das Geld gar nichts mehr wert sei und, wie schon einmal, inflationiere, werde die Westmark alleinige Währung sein. Anne und er, Richard, würden sich um Medikamente kümmern.

    »klick klick klick,
    das Feuerzeug«, sagte der Alte vom Berge, »der Schnee bedeckte die Ebenen, bedeckte die Dörfer, Argonauten sahen ihn in der Kolchis, auf dem Kasbek und dem Elbrus, wo die Hakenkreuzfahne wehte, der Soldat bekam Typhus, und in Stalingrad erfror der Verlobte seiner Schwester. Ein Zaunkönig lag erstarrt im Schnee. Flugzeuge trudelten vom Himmel in Flüsse, die brannten. Fetzen von Liedern, von Dudelsackweisen, mit denen Truppen des Marschalls Antonescu ins Gefecht zogen, Flakhämmern, Artillerie, das Knattern der Ratas und das heisere Bellen der Schmeisser-MPis, die Steppenhexen wisperten, Krautkugeln, die der Wind vor sich hertrieb. Der Geschmack von Sonnenblumenkernen, tanzende Nutten in einemFrontbordell, die Lakritzstangen zwischen ihren Mündern kleinkauten; in den Straßengräben Pferde mit aufgetriebenen Leibern, die Augäpfel in Stille geschraubt. Die geschlachtete Kostümhändlerin im Städtchen am Narew, aufgebrochene Truhen, splittrig zerstiefelte Bauernschränke, einer der Kameraden lachte, ging in den Vorgarten, knallte die im Wind sich wiegende Teerose vom Stengel, zupfte die Blütenblätter Sie liebt mich sie liebt mich nicht, ach hol’s der Teufel, Scheiße, Kameraden, lachte nicht mehr, lud die Parabellum durch, hob die in die Ecke gedrängte Katze der Kostümhändlerin hoch, klemmte ihr die Mündung unters Kinn, drückte ab
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    die Taschenlampe des Feldgendarmen, der durch das Lazarett ging auf der Suche nach Drückebergern. Lungensteckschuß, sagte der Arzt, der sich über den Soldaten beugte. Instrumente klirrten, in eine Schale geworfen, der Geruch von Tabak, langentbehrt, ein Operateur in blutdurchtränktem Kittel, eine Schwester hält ihm in einer Klemme eine Zigarette hin; der Soldat erinnerte sich an den süßen Doldenduft, der aus der Anästhesistenmaske strömte. Frontlazarett, Schüsse, lichtstickende Katjuschas, ein abbrennendes Verwundetenzelt, die Schreie werden ihn nachts aus dem Schlaf fahren lassen. Klirren von rangierenden Zügen, eine Lokdampffeife zerschneidet den Hitzevorhang des Fiebers, Rübezahls Geister machen sich lustig. Rückzug in der Rasputitza, der Schlammperiode. LKW blieben stecken, wühlten sich bis über die Räder in den Schlamm, mußten von Pferden und Mannschaft herausgezogen werden. Joch und Kandare, Soldaten und Kriegsgefangene hängten sich in die Sielen, versuchten die Troßwagen herauszutreideln, die Achsen brachen, die Deichseln der Furagewagen brachen. Moskitos zerfraßen die Gesichter, krochen in Ohren, Münder, Nasenlöcher, stachen in die Zunge, durch die Kleider, krochen in die Kragen. Dann wieder der Frost, er kommt abrupt, die Luft scheint innezuhalten, wird gedehnt, gespannt, gestaucht, beginnt zu knirschen, bleibt eine Weile reglos, dann bricht sie wie ein Flaschenhals. Der Schlamm fror betonhart, die bizarren Grate zerschlitzten die Lastwagenreifen und Stiefelsohlen. Rückzug. Dörfer, Koffer im Schnee, aufgesprengte Schlösser, verstreute Briefe, Fotos
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    der Rundfunkknopf
    Ideale! Dir ist, Liebes! nicht einer
    Geschützfeuer, Nahkampf, die weißen Augen des Russen, dann ist er über mir, sein keuchender Atem und die verdreckte Kragenbinde, ich sehe die scharfumrissene Linie einer Wolke über seinem Messer
    Nicht einer zuviel gefallen
    die Schweißtropfen auf der Stirn des Russen, der Soldat sieht einen Leberfleck und gleichzeitig eine Szene aus einem Puppentheater seiner Kindheit, das schöne bunte Harlekinskostüm, versucht noch einiges wie Strampeln mit den Beinen, Schreien, spürt, daß er dem Russen unterliegen wird, der schweigend arbeitet und stärker ist als er, das Messer nähert sich, plötzlich reißt der Russe den Kopf zurück, die Augen weiten sich, er öffnet den Mund
    Der unbedingte Wille zum Sieg und die fanatische Kampfbereitschaft des deutschen Soldaten werden den Feind
    öffnet den Mund zu einem tonlosen Staunen, der Hauptmann hat ihn von hinten erstochen
    Jeder Zollbreit Land wird bis zur letzten Patrone
    Blut schwappt aus dem Mund des Russen, sprudelt über das Gesicht des Soldaten
    Bis zum letzten Mann verteidigt
    Kostet dich ’ne Runde, Freundchen
    sagte der Hauptmann, die Klinge in der Armbeuge

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