Der Turm
und der Aufgabe darunter. »Ich wußte nicht, was ich schreiben sollte.« Ihre Stimme war klar, der Ton kurz angebunden, mit ein wenig Verächtlichkeit; Christian sah auf, traf aber nur Franks Blick, dessen helles Braun ihm jetzt unerklärlich unangenehm war, ebenso die sich hilflos öffnende und schließende Hand. »Dann hatten Sie einen Blackout.« Frank stellte es nuschelnd fest, es war keine Frage. »Das kann vorkommen.«
»Wir müssen in diesem Fall die Arbeit mit Ungenügend bewerten.« Schnürchel hatte zögernd gesprochen, aber noch in Franks Satz hinein. Wieder blieb das Schweigen, wie etwas, das nicht zu löschen war. Christian trug das FDJ-Hemd, wie auch Falk Truschler und Siegbert Füger und Swetlana Lehmann: Herr Schnürchel hatte alle Schüler der Klasse, die im Internat wohnten, gebeten, es anzuziehen.
»Ich bin nicht damit einverstanden, wie wir hier diskutieren. Ich bin der Meinung, daß Verena eine ablehnende Haltung zurgestellten Frage einnimmt und sie deshalb nicht beantwortet hat. Das wäre nicht das erste Mal.«
Verena hob den Kopf und musterte Swetlana mit erschrockener Faszination.
»Ja, du hast dir solche Sachen schon auf der POS geleistet. Genau wie deine Schwester.«
»Swetlana –«
»Nach meiner Meinung handelt es sich um eine vorsätzliche Provokation, Herr Dr. Frank.«
»Das glaube ich nicht.« Reina Kossmann, die Kassiererin im FDJ-Rat war, schüttelte den Kopf. »Mir hat sie nämlich vorher etwas gesagt.« Verena sei es schlecht gewesen, einer Sache wegen, die einmal im Monat –.
»Sie hat gesagt, sie hat sich nicht krank gefühlt«, beharrte Swetlana. »Ich möchte eure Standpunkte wissen. Ich bin dafür, daß der FDJ-Rat einen Beschluß faßt und ihn dem Direktor vorlegt.« Swetlana überlegte kurz, tippte mit dem Finger auf die Lippen. »Beiden Direktoren. Und der Grundorganisationsleitung.«
Hier mischte sich Siegbert Füger ein: Swetlana könne nicht einfach »Ich glaube ihr nicht« sagen, nicht nur Verena, sondern auch Reina stünden dann unter dem Verdacht der Schwindelei, er persönlich kenne Verena nicht von der POS, aber vom Sportunterricht bei Herrn Schanzler hier, beim Völkerball sei man zusammengestoßen, ihre Lippe habe geblutet, doch sei das ohne Ohnmacht, wie sonst üblich, abgegangen, Verena sei seiner Meinung nach eine, die die Zähne zusammenbeiße, und also auch vor der Geschichtsarbeit.
Was er unter »wie sonst üblich« verstehe, fragte Reina, den Rücken aufrichtend, es seien eher die Jungen, die am schnellsten herumjammerten, zum Beispiel bei der Kartoffellese. Christian schwieg, weil er das schmerzverzerrte Gesicht Verenas nach dem fehlgegangenen Hammerschlag vor sich sah, aber da auch Falk Truschler schwieg, er mußte Protokoll führen, hefteten sich Swetlanas Augen auf ihn, während Dr. Frank einen Zettel kleinkniffte und Schnürchel eine Cremetube aus seiner Aktentasche zog, eine durchsichtige zollbreite Walze ausdrückte und seine Hände einrieb. Es roch angenehm nach Kräutern.
»Deine Position, Christian?« Er mußte in diesem Moment anSwetlanas lockiges Haar denken. Es war schön und von einem Braun, das er nicht genau bezeichnen konnte. »Sie ist nicht in der Lage, eine Arbeit zu schreiben, wenn ihr schlecht ist.«
»Sie hätte es natürlich vorher sagen müssen. – Das war Ihr Fehler, Verena«, sagte Schnürchel nachdenklich. »Das Ungenügend können wir nun nicht mehr zurücknehmen. Kein guter Start, aber ich denke, das wird bei Ihnen ein Ausrutscher gewesen sein. Es gibt ja mündliche Vorträge, und sonst stehen Sie doch gut bis sehr gut.«
»Mehr hast du nicht zu sagen?« An Swetlana schien Schnürchels Einwurf vorbeigeflogen zu sein wie ein Insekt, dem man keine Beachtung schenkt, da man sich auf etwas konzentriert. Sie fixierte Christian, es schien ihm, als ob es sie Kraft kostete, die Lider zitterten kaum merklich, der Blick war nicht stet. »Schade, daß die schönen Posten schon weg waren, hm? Der stellvertretende FDJ-Sekretär, der Schriftführer und der Kassierer. Das hätte ja fürs Medizinstudium gereicht? Aber so … Als Agitator – da muß man ja wirklich Engagement zeigen, stimmt’s? Farbe bekennen!«
»Swetlana, Sie werden unsachlich. So kann man nicht miteinander arbeiten.« Das sagte Dr. Frank, mit grauem Mund, und Reina Kossmann fauchte: »Mir zu unterstellen, ich hätte nur einen Duckposten angenommen, für ein paar Pluspunkte in der Kaderakte –«
»Ist doch die Wahrheit! Das wichtigste für euch ist das
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