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Der Turm

Der Turm

Titel: Der Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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Studium, die Karriere, und dafür geht man auch in die FDJ-Leitung! Freilich nicht als Sekretär oder Agitator, also worauf ’s ankommt … Wärt ihr denn auch dabei, wenn es dafür keine Pluspunkte gäbe? Was in diesem Land verwirklicht werden soll, ist euch doch völlig egal!«
    »Swetlana! So kommen wir nicht weiter. Dr. Frank hat recht, das ist unsachlich. Es ist nicht korrekt. Nicht korrekt. Wir sollten abschließend auch hören, was Verena zu sagen hat. Beruhigen Sie sich.« Merkwürdig, wie behutsam Schnürchel sein konnte, väterlich, als müßte er seine ungebärdige Lieblingstochter vor sich selbst schützen; seine linke Hand, die vorgeschnellt war: als ob er etwas einfangen wollte, dachte Christian. Vielleicht kannte er die Situation, erkannte sie wieder.
    »Es stimmt, was Reina gesagt hat. Ich … hatte Probleme.« Verena war blaß jetzt, sie hatte leise gesprochen, mit abgewandtem Gesicht.

    Abends rief Christian zu Hause an. Er war weit gegangen, am Stadtschloß, wo noch Lichter brannten, und am Kino vorbei, die Uferstraße an der Wilden Bergfrau entlang bis zur Lohgerberei. Das Schäumen und Donnern des Flusses beruhigte ihn nicht, immer wieder sah er Szenen des Nachmittags vor sich und konnte keinen klaren Gedanken fassen. Auf der Brücke lehnte er sich ans Geländer, betrachtete die dunklen, unregelmäßig von metallischen Spindeln durchglittenen Strudel, aber nach einer Weile fror er, und die Dunkelheit machte ihm zu schaffen: eine einzige Laterne hing wie ein weißer Topf über der Kreuzung zwischen Ufer- und Ausfallstraße, die an der Brücke begann. Er ging stadteinwärts, in Richtung Markt, nahm aber den falschen Weg und stand nach leerer Zeit wieder vor dem Kino, was ihn verwirrte; aber dann sah er die Telefonzelle auf dem Wegstück vor dem Pförtnerhäuschen des Schlosses. Der Pförtner musterte ihn über den Rand einer »Wochenpost«. Christian schlenderte zur Telefonzelle. Das schien dem Pförtner zu genügen, er wandte sich wieder der Zeitung zu. Das Telefon dieser Zelle wurde wahrscheinlich überwacht. Nichts Verfängliches über das Telefon, hatte Anne ihnen eingebleut. Doch vielleicht verhielt es sich gerade bei diesem Telefon anders … Es stand vor der Kreisparteizentrale. Einerseits. Andererseits mußte es in den Räumen des schäbigen Schloßbaus so viele Telefone wie nirgendwo sonst in Waldbrunn geben, wozu brauchte man also hier noch eine Telefonzelle … War nicht gerade das die Falle? Man dachte mit, man dachte mit den Leuten: Die Telefonzelle am Markt benutzte kaum jemand, tatsächlich hatte Christian noch nie jemanden dort telefonieren gesehen: jedermann dachte, daß diese Zelle überwacht sei, und da die Sicherheit wußte, daß die Leute so dachten und selbst dann, wenn sie von dort anriefen, im Bewußtsein des Überwachtwerdens nur Harmlosigkeiten von sich geben würden, betrachtete sie womöglich gerade diese Zelle als nutzlos und ließ sie unbelauscht, während man hier, noch lächelnd darüber, wie besonders schlau man war, in die Schlingetappte. Oder war die Zelle vor dem Schloß womöglich doch ein Freiraum, den sich die Parteileitung bewahren konnte? Christian überlegte. Was würde er tun, wenn er bei Jenen wäre … Er würde einfach jede Leitung anzapfen, umstandslos. Das Spiel »Denk wie dein Feind« hatte Richard mit Robert und ihm öfter gespielt; und Richard hatte geantwortet: »Das ist unwahrscheinlich, so viele Leute dürften sie nicht haben zum Abhören, das müßte ja im Dreischichtsystem sein, und hinter jeder Leitung, und haben sie die Leute, so doch kaum die Technik und die Tonbänder. Ein paar freie Leitungen muß es geben in diesem Land. Bestimmt ist es nicht die des Genossen Staatsratsvorsitzenden, und die des Chefs der Sicherheit ebensowenig.« – »Auch nicht die Leitungen der Telefonzellen«, hatte Christian erwidert. – »Warum nicht? Gerade da ist die Überwachung wenig erfolgversprechend, denn niemand sagt etwas über eine öffentliche Telefonleitung. Das würden nur Deppen und ahnungslose Ausländer tun, und die werden sowieso rund um die Uhr überwacht.«
    Christian überlegte weiter. Es gab nur einen einzigen Grund, von hier und nicht vom Markt zu telefonieren. Diese Zelle hier würde wahrscheinlich funktionieren.
    »Hoffmann?«
    Christian hörte Gelächter im Hintergrund, die Stimme seines Vaters, den Westminstergong der Standuhr, die Viertel schlug. »Hallo, Mam, ich bin’s.«
    »Oh, gibt’s was Besonderes, daß du anrufst?«
    Christian

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