Der überflüssige Mensch: Unruhe bewahren (German Edition)
Energieverbrauch aus? Zwei Drittel des Weltverbrauchs gehen auf das Konto der OECD-Staaten. Der gemeine Deutsche, Österreicher oder Schweizer verbraucht gut fünfmal mehr als der durchschnittliche Asiate und gut zehnmal mehr als der durchschnittliche Afrikaner. Das ökologische Argument, mit dem die notwendige Schrumpfung der Menschheit gerechtfertigt wird, fällt bei näherer Betrachtung in sich zusammen. Ein Subsistenz- oder Kleinbauer aus der Dritten Welt lebt samt seinen acht, neun oder zehn Kindern um ein Vielfaches nachhaltiger als ein Großstädter einer der Metropolen des Nordens. Ginge es tatsächlich um ökologische Prioritäten, müsste man die Überflüssigen zuallererst unter den Superreichen ausfindig machen, von denen jeder Einzelne in etwa so viel wie eine afrikanische Kleinstadt verbraucht. 2005 konsumierte das reichste Prozent der US-Amerikaner so viel wie die 60 Millionen Ärmsten des Landes. So besehen sind die schwerreichen Einwohner des Westens die schlimmsten Parasiten. Zudem bunkern sie Trillionen von Dollar in Steueroasen (niemand kennt die genaue Summe), die somit dem Gemeinwohl nicht zugutekommen können. Sollte also eine Dezimierung unabwendbar sein, wäre es nach dem Gesetz des kleineren Übels eher angebracht, einige Vermögende zu opfern als Millionen von Armen.
Aber das kommt nicht in Betracht, denn der weiße Mann hat sich, wie auch der reiche Mensch, seit je als besonders wertvoll begriffen, wertvoller auf jeden Fall als tausend braune, gelbe oder schwarze Kreaturen. Wer wird schon bestreiten wollen, dass es immer nur die anderen sind, die unseren Planeten zerstören?
Es kann in diesem Zusammenhang nur zwei logische und konsequente Positionen geben: Entweder es ist genug für alle da und wir können mit dem globalen Wachstum weitermachen wie bisher, bis eines Tages alle Länder der Welt unseren Lebensstandard samt unserem Verbrauch erreicht haben. Oder die Ressourcen sind begrenzt und das Wachstum wird gegen eine Decke stoßen, woraus folgt, dass wir unseren Wohlstand reduzieren müssen, um den anderen wenigstens das Recht auf Nahrung und ein würdevolles Leben zu garantieren. Jede andere Haltung impliziert, dass es wertvolles und unwertes Leben gibt.
Mensch und Müll
Wenn sich niemand zu uns umdrehte, wenn wir den Raum betreten; wenn niemand antwortete, wenn wir sprechen; wenn niemand wahrnähme, was wir tun; wenn wir von allen geschnitten und als nicht existierend behandelt würden, dann würde eine derartige Wut und ohnmächtige Verzweiflung in uns aufsteigen, dass im Vergleich dazu die grausamste körperliche Qual eine Erlösung wäre.
William James, 1890
Da abgesehen von einigen Stämmen in Papua-Neuguinea und entlang des Amazonas alle Menschen auf Erden den globalen Märkten ausgesetzt und somit vom Geld abhängig sind, und alles, was sie umgibt und was sie herstellen, quantifiziert und kommerzialisiert worden ist, gibt es nur noch zwei bestimmende Realitäten: Markt und Müll. Ersterer funktioniert gottgleich, ergo gütig und gnädig, Letzterer türmt sich auf, wird vergraben, verbrannt oder exportiert, Hauptsache: aus den Augen geschafft. Die semantische Verbindung zwischen beiden ist Dumping, ein Begriff, der im Englischen das Abladen von Müll bedeutet, als neudeutsches Wort hingegen die Entwertung einer Ware, um sie auf dem Massenmarkt zugunsten eines zukünftigen Gewinns durchzusetzen.
Manche Menschen sind in diesem System Müll. Irgendwann weiß man nicht, wohin damit. Je mehr Menschen, desto mehr Müll, also auch Menschenmüll. Je länger wir uns den Zwängen einer frenetischen Wachstumsideologie beugen, die weltweit zu einer blühenden Konjunktur sozialer Ungerechtigkeit führt, desto mehr werden die Grenzen zwischen Mensch und Müll verwischt. In vielen Teilen der Welt ist dies schmerzhaft gegenwärtig, etwa bei jenen Roma, die auf Müllkippen in Bulgarien leben. Da die Roma-Gesellschaft ein uraltes Kastenwesen aufrechterhält, heißt diese Gruppe Dale , abgeleitet von dem indischen Begriff für Unberührbare, Dalit. Fast alles, was die Dale umgibt, stammt aus dem Müll. Ihre Behausungen sind Baracken aus aufgesammelten Bruchstücken: Planen und Planken und Pappe. Die Kinder spielen mit Puppen, deren Augen herausgefallen sind, als Spiegel dienen Glasscherben, zu Feiertagen beträufeln sich die Frauen mit Parfüm aus fast leeren Flakons, die sie inmitten des Unrats gefunden haben. Leider sind die Menschen in der bulgarischen Provinz zu arm, um Nahrungsmittel
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