Der Überraschungsmann
beurteilen kann.« Charlotte knallte das Salatsieb in die Spüle. »Du bist für dein Alter total okay, aber DIE ist definitiv eine Schönheit.«
»Und du bist definitiv voll die blöde Zicke. Mama, du bist viel hübscher. Was HEISST objektiv?«
»Aber Kinder, Lisa ist doch viel jünger als ich«, stellte ich fest, während ich mein Töchterchen energisch von der Küchenbank zog und in Richtung Bad schob. »Ich könnte ja fast ihre Mutter sein!«
Als ich um Mitternacht neben Volker im Bett lag und durch unsere riesigen Glasfenster in den Sternenhimmel blickte, hatte ich plötzlich ein ganz warmes, schönes Gefühl im Bauch. Endlich habe ich eine Nachbarin, ging es mir durch den Kopf. Und dann gleich eine so süße! Wenn Volker abends Notdienst hat oder noch über seinen Gutachten sitzt, werde ich sie auf ein Glas Wein einladen – oder in ihrem Fall auf eine Tasse Tee –, und dann plaudern wir. Sie erzählt mir vom Luxusschiff und von ihrem schmucken großen norddeutschen Kapitän, und ich berate sie in Sachen Schwangerschaft, Geburt und Kindererziehung. Und vielleicht passt sie mir später mal auf Pauline auf, wenn ich arbeiten gehe. Dafür hüte ich dann ihr Baby, wenn sie im Landestheater Proben hat. Und wie verknallt erst Nathan und Emil in sie sein werden! Nathan wird ihr zeigen, wie man die Karten mischt, und dabei errötend an ihren Haaren schnuppern … Und Emil wird versuchen, sie zum Lachen zu bringen, was ihm nicht schwerfallen dürfte.
Ich ertappte mich selbst dabei, wie sich mein Gesicht zu einem fast seligen Lächeln verzog. Wie verliebt die beiden waren. Wie optimistisch sie in die Zukunft blickten. Wie zärtlich sie sich angesehen hatten. Wie stolz sie aufeinander waren. Und nun gründeten sie eine Familie. Bei uns im Sonnenblumenweg. Wir würden das alles hautnah miterleben und an ihrem jungen Glück teilhaben.
So verliebt waren Volker und ich auch gewesen, als wir unse re Familie gegründet hatten. Vor vierzehn Jahren. Aber was heißt hier »gewesen?«, dachte ich. Wir sind es doch immer noch! Gerührt betrachtete ich das vertraute Profil meines Man nes im matten Mondlicht. Die leichten Vorhänge bauschten sich ein bisschen, und ein kühler Windzug streifte meine blo ßen Arme. Ich drehte mich auf den Rücken und starrte in den Nachthimmel.
3
Grüß Gott, meine Damen und Herren! Willkommen in unserer wunderschönen Barockstadt Salzburg! Wenn ich Sie zuerst hier rüber bitten darf!« Wie eine Glucke hob ich energisch den roten Schirm über meinen Kopf und ging langsam, aber stetig über die erste Kreuzung zum Mirabellplatz. Wie der Rattenfänger von Hameln, nur im Dirndl, kämpfte ich mich durch die Touristenmassen. Fuchtelnd versuchte ich meine Schäfchen dazu zu bringen, geschlossen bei Grün über die Straße zu gehen. »Bitte zügig, meine Herrschaften! Der Bus kann nicht warten!«
Etwa vierzig Personen, die in der Paris-Lodron-Straße aus dem Reisebus gequollen waren, stapften, latschten oder trippelten im üblichen deutschen Rentner-Look hinter mir her: beige Westen, beige Dreiviertelhosen, flache Treter, karierte Hemden die Männer, karierte Blusen die Frauen. Rote Schirmkappen mit Einheitslogo. Heute war es ein Kegelverein aus Tauberbischofsheim, der mir für die Stadtführung anvertraut worden war.
»Frollein, wir müssen zuerst mal aufs Klo.«
Damit hatte ich gerechnet. ALLE müssen zuerst mal aufs Klo. »Bitte, meine Damen, hier ist ein öffentliches WC , die Herren bitte auf der anderen Seite.«
Natürlich war meine Zehn-Uhr-Gruppe nicht die Erste. Etwa zweihundert Amerikaner und hunderttausend Japaner, dazu Spanier, Italiener und Russen standen da und warteten auf ihre Pipi-machenden Kameraden aus aller Welt. Meine Kolleginnen, die anderen Fremdenführerinnen, ebenfalls im schmucken Dirndl, blieben mit stoischer Ruhe im Abseits stehen und erklärten Stadtpläne.
»Ja, wir haben auch einen Louis-Vuitton-Laden. Aber vielleicht wollen Sie zuerst unsere wahren Sehenswürdigkeiten …?«
»Yes of course, there is also a McDonald’s restaurant. But I would like to recommend you the original Stiegl-Keller. Yes, you can order the world famous Wiener Schnitzel over there …«
»Sí claro, hay que ir a pie un poco, pero no está lejos …«
»La funiculare per la montagna …«
»Na, das kann ja dauern.« Schwitzend ließ sich einer der Kegelfreunde im beigefarbenen Seidenblouson auf einem Mäuerchen neben dem Mozarteum nieder. »Hilde, kannste dir des net
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