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Der Überraschungsmann

Titel: Der Überraschungsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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staunten, drehten die Köpfe, murmelten und lachten. Wie leicht die Menschen doch zu beeindrucken sind, dachte ich zum wiederholten Mal. Von Jahreszahlen und Architektennamen wollen die gar nicht so viel wissen. Man muss nur ihre kindliche Fantasie mit irgendwelchen hanebüchenen Behauptungen füttern, dann sind sie ganz Ohr und können gar nicht genug davon bekommen. Den Amerikanern erzähle ich an dieser Stelle immer, dass die Szene aus Sound of Music hier gedreht wurde, in der Julie Andrews mit den Kindern »Do re mi« singt und dabei auf den Stufen herumspringt. Das bringt die Amerikaner regelmäßig so sehr aus der Fassung vor Begeisterung, dass sie alle auf der Treppe herumspringen – trotz imposanten Übergewichts und abenteuerlicher Kleidung. Aber die deutschsprachigen Touristen kennen diesen Film aus den Fünfzigerjahren leider nicht. Amerikaner und Japaner dagegen reisen extra AN , um auf den Spuren von Sound of Music zu wandeln. Für die ist Salzburg die Sound-of-music -Stadt, und die ganze barocke Pracht, die unzähligen Kunstschätze in Kirchen, Klöster und Museen, ja sogar Mozart, sind nur nette Nebenerscheinungen.
    »Im Jahre 1818 wurde das Schloss Mirabell übrigens durch einen verheerenden Brand fast zerstört. Der wenig spektakuläre Profanbau, den Sie heute sehen, ist seiner ehemaligen barocken Fassade beraubt und wurde im klassizistischen Stil …«
    Kein Mensch hörte mehr zu. Ich lief weiter, erklärte noch die barocken Brunnen und dass sie die Elemente Feuer, Wasser, Luft und Erde symbolisieren, und landete dann am Makartplatz, gegenüber von Mozarts Wohnhaus. Ein O-Bus glitt gerade lautlos, von der Theatergasse kommend, um die Kurve, Menschen mit grauen Gesichtern saßen teilnahmslos darin. Sie hatten offensichtlich schon vergessen, welches Geschenk es ist, in dieser Stadt wohnen und arbeiten zu dürfen. Am liebsten hätte ich von außen an die Busfenster geklopft und gerufen: »He, Leute, wisst ihr eigentlich, wie GUT wir es haben, dass wir hier leben dürfen?!«
    Wir standen direkt vor dem Salzburger Landestheater. In den Schaukästen wurden die Opernproduktionen der nächsten Spielzeit angekündigt. Und während ich meine Informationen herunterspulte – über den berühmtem Architekten Fischer von Erlach, der für die barocke, von 1694 bis 1703 erbaute Dreifaltigkeitskirche verantwortlich ist, die der Wiener Karlskirche ähnlich sieht und vor der alljährlich in den letzten beiden Aprilwochen die Magnolien in einer solchen Pracht blühen, dass es einem den Atem verschlägt; über den berühmtem Mathematiker und Physiker Christian Doppler, der ebenfalls in diesem grauen Haus da vorn gelebt und gewirkt hat (»Kennen Sie den berühmten Doppler-Effekt, meine Damen und Herren? Tatütataa, tatüütataa … Der Ton wird für unser Ohr tiefer, je mehr sich das Feuerwehrauto entfernt, obwohl er objektiv immer auf einer Höhe bleibt …«) – während ich das also alles herunterspulte und mit aller Kraft versuchte, die Aufmerksamkeit meiner Zuhörer nicht zu verlieren, sah ich plötzlich das Gesicht meiner neuen Nachbarin. Im Schaukasten. Così fan tutte. Sie trug ein weißes Kleidchen, so eine Art Unterkleid, war barfuß und sang gerade ein Duett mit einer Dunkelhaarigen in ebenso einem Unschuldsfähnchen. Beide sahen hinreißend aus, weiblich, ledig, jung. Na, so ein Zufall, dachte ich. Gestern noch in meinem Wohnzimmer und heute auf der Showbühne! Fast hätte ich die Rentner aus Tauberbischofsheim darauf hingewiesen, aber was sollten sie mit dieser Information anfangen?
    »Und diese zauberhafte junge Frau hier, schauen Sie, die Blonde, die ist seit gestern meine neue Nachbarin. Sie heißt Lisa, ist ganz neu im Ensemble und hat einen Vertrag für die nächste Spielzeit. Sie kann wunderschön singen, ist schwanger und liebt einen blonden norddeutschen Kapitän. Wie im Traumschiff! Nur in echt! Gestern Abend saß sie noch an meinem Kamin und hat meinen Kindern eine Arie vorgesungen.«
    Ich verkniff es mir. Obwohl das die Leute mit Sicherheit viel mehr interessiert hätte als Christian Doppler und sein Doppler-Effekt.
    Als wir über die Kreuzung vor dem Hotel Sacher schritten, um den Makartsteg zu erreichen, wo wie immer der Bettler mit der Hasenscharte Ziehharmonika spielt, und ich meinen Spruch über die Original-Sacher-Torte aufsagte, die man hier unbedingt einmal probieren müsse, musste ich über mich selbst den Kopf schütteln. Und während ich meine schwerfällige Gruppe mühsam in den

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