Der Überraschungsmann
verkneife?«
»Nein!«, keifte Hilde, bereits die Beckenbodenmuskulatur sowie ihr Gesicht anspannend. Sie war etwa die Vierunddreißigste in der Schlange vor dem Klohäuschen. »Ich platze bald, Hansjörg!«
»Wissen Sie was«, nahm ich Hilde und ein halbes Dutzend ihrer Blasengenossinnen zur Seite. »Wenn Sie es unauffällig machen, gehen Sie schnell hier im Mozarteum. Direkt links neben dem Konzertsaal ist für Damen, und wenn Sie es noch unauffälliger machen: Rechts neben dem Konzertsaal ist für Herren. Zwölf saubere Toiletten pro Seite. Da ist um diese Zeit keiner.«
»Aah, das ist ’n patentes Frolleinsche!«, freuten sich die Rentner aus Tauberbischofsheim und wackelten erfreut durch eine Gruppe geigen- und cellobewehrter koreanischer Studenten, die ihnen kopfschüttelnd hinterhersahen.
»Ja, sonst kommen wir hier ja nicht weiter«, gab ich ihnen achselzuckend zu verstehen. »Verpetzt mich nicht!«
Zehn Minuten später hatten alle vierzig Leute ihre Notdurft verrichtet. Schließlich standen wir im Mirabellgarten, in einem Meer von Blüten, vor dieser traumhaften Salzburgkulisse: der Dom mit seiner grünen Kuppel und den zwei Türmen, und im Hintergrund die weiße stolze Festung. Vor blauem Himmel kann das so fantastisch aussehen, dass selbst ich, die ich diesen Job nun schon einige Jahre machte, bei diesem Anblick immer noch innerlich vor Glück aufjauchze. Hier durfte ich arbeiten! Hier durfte ich LEBEN ! Gut, die große weite Welt hatte ich abgeschrieben, aber WENN ich schon immer wieder durch ein und dieselbe Stadt latschte, dann durch DIESE !
»Kirchtürme, Kuppeln, Festungsmauern und die grünen Berge der Voralpen, meine Damen und Herren. Genießen Sie auch den Blick auf die noch schneebedeckten Alpen! Dieses Panorama werden Sie so schnell nicht wieder vergessen!«
Die Rentner aus Tauberbischofsheim staunten nicht schlecht und zückten ihre Fotoapparate. »Heinz, nimm doch mal die Helga in den Arm! Stellt eusch mal vor die Kulisse! Helga, sach mal dem Japaner, er soll ausm Bild gehen!«
»Meine Damen und Herren! Wenn ich zuerst etwas sagen darf! Nachher haben Sie Zeit für Fotos und private Fragen!« Ich scheuchte meine Herde mit weit ausholenden Gesten auf einen Kiesweg unter eine schattige Linde.
»Schauen Sie! Das Schloss Mirabell wurde 1606 im Auftrag von Erzbischof Wolf Dietrich von Raitenau erbaut!«
Aha, murmel, glotz, staun, starr. Ich wusste, dass diese Nachricht keinen der Rentner vom Hocker reißen würde. Deshalb schob ich die eigentliche Sensation noch hinterher: »Was glauben Sie, für wen hat er es bauen lassen?«
»Keine Ahnung.«
»Für seine GELIEBTE !«
»Dä Bischoff? Hatte ’ne Geliebte? Na ja. Die Pfawwe ware damals auch nisch bessä als heude«, murmelten die Rentner durcheinander.
»Und wissen Sie, wie viele Kinder er mit dieser Dame hatte?«
Murmel, mutmaß, argwöhn. Keiner der Rentner hatte eine Vorstellung.
»Fünfzehn, meine Damen und Herren! Fünfzehn uneheliche Kinder! Die er keineswegs geheim hielt, im Gegenteil! Mit dem Bau dieses Gartenschlosses zeigte er aller Welt, wie stolz er auf seine Potenz war!«
»Huch, also wirklich. So genau wollten wir’s gar net wisse …«
»Gut. Die Geliebte hieß Salome Alt, wie die Kinder hießen, weiß ich nicht. Der Erzbischof wurde schließlich in der Festung eingesperrt – und dort ließ man ihn sechs Jahre lang verrotten, bis er tot war.«
Alle drehten sich zur Festung um und schwiegen geschockt. Die Zahnradbahn krabbelte gerade wie ein leuchtender Goldkäfer in der Morgensonne nach oben, als könnte sie sich an keinerlei Folter auf der Festung erinnern.
»Heute wird in diesem Schloss gern und viel geheiratet«, glättete ich schnell die Wogen der moralischen Entrüstung. Sofort lächelten die Leute wieder. Besonders die Damen.
»Die beliebte Schauspielerin Veronika Ferres hat hier 2002 hochschwanger geheiratet«, sagte ich wie nebenbei, und siehe da, das interessierte die Tauberbischofsheimer Kegelbrüder und -schwestern weitaus mehr als der omnipotente Erzbischof Wolf Dietrich.
»Aber die ist auch schon wieder geschieden«, murmelte eine Dauergewellte neben mir, die vergessen hatte, die noch vom Schlafen platt gedrückten Haare am Hinterkopf etwas aufzu toupieren.
»Am neunten Neunten Nullneun haben hier neunundneunzig Paare geheiratet, im Neun-Minuten-Takt«, improvisierte ich schnell. »Die Schlange der Brautpaare ging hier einmal quer durch den Mirabellgarten, bis dort die Treppe hinauf.« Die Leute
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