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Der übersehene Mann: Roman

Der übersehene Mann: Roman

Titel: Der übersehene Mann: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christina McKenna
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die beiden Damen die Ereignisse des Tages noch einmal durch den Kopf gehen, wogen ab, was gesagt, getan und gekauft worden war, und trugen Beweismaterial zusammen. Manchmal konnte der Kauf von Seidenstrümpfen und das Abheben von Geld am selben Tag – und durch ein und dieselbe Person – ihre Vorstellungskraft wie eine Rakete in Cape Canaveral anfeuern, nur um gleich darauf das Feuer aus den Triebwerken zu nehmen und sie zur Erde zurücktrudeln zu lassen.
    »Ach, komm schon, sie wird doch keine Affäre haben? Sie hat gerade erst geheiratet«, bemerkte eine der Schwestern etwa. Und dann entgegnetedie andere vielleicht: »Ein Teufelsbraten wie Mickey McCourt würde seiner Frau doch nie erlauben, so eine Strumpfhose zu kaufen, oder? Irgendwas ist da im Busche, da kannst du aber sicher sein.«
    Als Jamie McCloone auf Doris Crink zuschritt, setzte sie die Brille ab, denn sie meinte, ohne besser auszusehen.
    »Jamie, ich habe dich aber lange nicht gesehen. Wie geht es dir denn?«
    »Ach, ganz gut, Doris. Nur mein Rücken macht mir zu schaffen.«
    »Ach, das tut mir aber leid. Das mit dem Rücken macht die Runde. Aggie Coyle hat ihr Rücken fast umgebracht.« Doris sah Jamie freundlich an. Er war vielleicht kein Bild von einem Mann, aber er war immer höflich und er hatte dreitausendeinhundertneunundzwanzig Pfund und fünf Pence auf seinem Sparbuch und keine Frau, die das so nebenher ausgeben konnte ... jedenfalls, dachte Doris müßig, noch keine Frau. »Ist es Rheuma?«
    »Nee, der Arzt sagt, es is Ischias. Und er hat mir Tabletten dagegen verschrieben und will, dass ich ein paar Tage an der See verbringe.«
    »Das ist ein guter Rat, Jamie. Bestimmt musst du auf der Farm immer schwere Sachen heben.« Sie stützte sich auf die Theke und lehnte sich vertraulich zu ihm rüber. »Weißt du, ich hatte letzten Winter Probleme mit meinen Ohren und Dr. Brewster hat mir genau dasselbe gesagt. Er hat gesagt: Doris, wissen Sie, was Sie wirklich brauchen?«
    »Wirklich, hat er dir denselben Rat gegeben?«
    »Ja, hat er. Er hat gesagt: ›Doris, mit Ihren Ohren brauchen Sie einen Urlaub an der See in Portaluce‹. Und weißt du was? Ich bin seinem Rat gefolgt und habe eine Woche Ferien gemacht«, sagte Doris und schlug triumphierend auf den Tresen. »Und als ich zurückgekommen bin, war das mit den Ohren wie weggeblasen.«
    Jamie schob die Kappe zurück, um seine Kopfhaut zu lüften. Es machte ihn nervös, schmeichelte ihm aber auch, dass eine einfühlsame Frau wie Doris ihm das anvertraute.
    »Junge, Junge! Hat er dir dasselbe gesagt. Is ein kluger Mann, der Dr. Brewster. Er weiß gleich, was mit einem nich stimmt, er muss einen einfach nur ansehen.«
    »Ja, und ein Gentleman is er auch.« Doris holte tief Luft und schüttelte den Kopf. »Stochert und sticht nicht an einem herum. Wirklich ein ordentlicher Mann, man könnte sich keinen Besseren wünschen, wirklich nicht.«
    »Ja, da hast du recht, einen Besseren könnte man nicht finden.« Jamie kratzte sich am Ohr und setzte die Kappe wieder auf.
    »Wolltest du Briefmarken, Jamie?«, fragte sie und schlug diensteifrig ihr Buch auf. Ein anderer Kunde hatte den Laden betreten und sie wollte nicht im allzu freundlichen Gespräch mit Jamie gesehen werden, damit sich keine Gerüchte verbreiteten.
    »Ja, Doris, zwei Briefmarken und zwei Umschläge. Und dann noch so’n Block von diesem Basildon Bond da drüben.«
    Doris hob eine Augenbraue und fragte sich, was Jamie McCloone wohl vorhatte. Sie merkte sich seine Wünsche, um sie nachher mit Mildred zu erörtern.
    Sie addierte die Summen mit einem Bleistift. Jamie beugte sich zu ihr herab und flüsterte ihr ins Ohr: »Und ich müsste was abheben für die Reise, du weißt schon.«
    »Selbstverständlich, Jamie. Wenn du bitte dieses Formular hier ausfüllst, ich bin gleich wieder bei dir.« Doris sah den Jugendlichen hinter ihm an, alle Gedanken an eine Romanze hatte sie für den Moment beiseitegeschoben.

8
    Er schrubbte den Boden auf knochigen Knien und hielt die Drahtbürste mit den blau angelaufenen Händen umklammert. Er nahm sich immer vier große Platten auf einmal vor, wobei sein Körper mechanisch vor- und zurückschwang, dann wischte er den Dreck mit einem fettigen Lappen auf und wrang ihn in einem Eimer aus. Vierhundertfünfzig Fliesen gab es im Speisesaal, und er hatte nur noch hundert vor sich.
    Alle fünf Minuten kroch er zum nächsten Viereck, zerrte den Eimer knirschend auf dem gesprenkelten Terrazzoboden hinter sich her,

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