Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der übersehene Mann: Roman

Der übersehene Mann: Roman

Titel: Der übersehene Mann: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christina McKenna
Vom Netzwerk:
aufheben, denn ihre Anzeige war vor Kurzem erschienen und sie wartete jetzt hoffnungsvoll auf einen Umschlag mit Antworten.
    Elizabeth untersuchte die Strickbündchen ihres Pulloverkleides. »... sie war so geschickt, sie konnte jedes Zopfmuster nachstricken, das man ihr vorlegte, Loch-, Perl- oder Patentmuster, keltische Muster, Norweger muster – und über ihre Strickhäschen hat die ganze Gemeinde gesprochen. Was dir nur in den Sinn kam, sie konnte es herstellen ...«
    Sie ließ von ihrem Strickbündchen ab und sah Lydia prüfend an, die jetzt Tante Doties Teewärmer hervorkramte – ein erstaunliches Objekt in Gestalt einer gehäkelten Erdbeere.
    »Weißt du, bei Mrs Leslie Lloyd-Peacocks Dias musste ich wieder ans Meer denken.«
    »Ach, wirklich«, sagte Lydia, die kaum zuhörte. »Wie kommt’s?«
    »Ich habe mich nach Ferien gesehnt. Ich möchte mal wieder nach Portaluce. Lass uns nächste Woche zu Gladys fahren, ja?«
    »Meinst du das ernst?« Plötzlich war Lydia alarmiert. Sie hatte keine Lust zu verreisen, bevor der Umschlag eingetroffen war. »Du meine Güte, Mutter, du streitest dich doch dauernd mit Gladys.«
    »Aber Gladys fängt an! Sie war schon immer sehr aufbrausend.« Mrs Devine sprach zu der Zuckerdose, plötzlich in Gedanken versunken. »Kommt nach ihrer Tante Millicent.« Lydia spürte, dass ihre Mutter in den nächsten Rückblick abdriftete.
    »Ich sag dir was, Mutter: Wir fahren übernächste Woche. Was hältst du davon?«
    »Warum nicht in der nächsten?«
    »Ach, weißt du ...« Lydia wusste nicht, was sie sagen sollte. »Ich bin einfach noch nicht bereit dafür. Ich bin müde.«
    »Ich dachte, deswegen macht man Ferien: weil man müde ist.« Elizabeths Augen verengten sich. »Du führst irgendetwas im Schilde.«
    »Nein, Mutter. Ich führe gar nichts im Schilde. Außerdem müssen wir Tante Gladys unsere Ankunft eine Woche im Voraus mitteilen. Es ist Hochsaison, weißt du.« Lydia bot ihr eine Platte mit Kirschkuchen an. »Möchtest du ein Stück?«
    Doris Crink, die Poststellenleiterin, war eine attraktive Witwe Anfang fünfzig – klein, schlank und gepflegt –, die noch Wert auf ihr Äußeres legte. Ihr Mann war frühzeitig ums Leben gekommen. Sie waren erst vier Jahre verheiratet gewesen, als er von einem Laster überfahren wurde, an dessen Steuer ein kurzsichtiger Rentner saß, der leider gerade ein Zitronen bonbon auspackte. Seit diesem verhängnisvollen Vorfall konnte der bloße Anblick eines solchen Bonbons Doris in Panik versetzen. Doch hatte sie sich von dieser Katastrophe nicht unterkriegen lassen und hatte auch nie die Hoffnung verloren, noch einmal zu heiraten. Sie pflegte sich und hielt so die Flamme der Hoffnung am Brennen. Konnte man denn wissen, wann der richtige Mann hereinschneite und aus der Flamme ein loderndes Feuer wurde?
    Doris war überrascht, als Jamie McCloone hereinkam. Da er nur selten Briefe bekam oder versandte, hatte er kaum Grund, die Post aufzusuchen.Allerdings hatte er ein Sparkonto, von dem er zu ihrer Freude nur selten kleine Beträge abhob. Es war eine beträchtliche Summe darauf – dreitausendeinhundertneunundzwanzig Pfund und fünf Pence, um genau zu sein –, die bald nach dem Tod seines Onkels eingezahlt worden war.
    Ms Crink hatte das Geschäft von ihren Eltern geerbt und schon immer betrieben. Deswegen kannte sie auch die Geheimnisse der meisten Einwohner der kleinen Ortschaft. So wie eine kluge Hellseherin von der Kleidung eines Menschen und dem, was er sagt, auf dessen Zukunft schließen kann, so konnte Doris auf den Zustand einer Ehe oder die genaueren Umstände von Menschen über die Briefe, die sie bekamen oder die Transaktionen, die sie über ihre wurmstichige Theke laufen ließen, schließen.
    »Noch eine rote Mahnung von den Gaslieferanten für die Kennedys in Nummer neun«, sagte sie dann etwa. »Wahrscheinlich hängt Thomas wieder an der Flasche.«
    »Die Tochter von Betsy Bap ist wieder arbeitslos«, bemerkte sie bei einer anderen Gelegenheit. »Sie hat diesen Monat schon den dritten Wohlfahrtsscheck eingelöst. Sie kommt eben nach ihrer Mutter: was für eine Hure, und immer gleich mit dem Kopf durch die Wand. Selbst unser Herrgott könnte nicht mit der zusammenarbeiten.«
    Diese Spekulationen und die Verleumdungen der Leute von Tailorstown tauschte sie mit ihrer Schwester Mildred aus, die im Kleiderladen nebenan arbeitete, bei Harveys Mode für Sie und Ihn. Beim Abendessen in ihrer beengten Küche hinter der Poststelle ließen sich

Weitere Kostenlose Bücher