Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der übersehene Mann: Roman

Der übersehene Mann: Roman

Titel: Der übersehene Mann: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christina McKenna
Vom Netzwerk:
mag, wünscht die
    Bekanntschaft eines gleichgesinnten Herren
    im Hinblick auf Freundschaft und gemeinsame
    Unternehmungen zu machen. Chiffre 218
    Genau das war es. Er holte den blauen Kugelschreiber aus dem zerbrochenen Ohr der Keramikkatze im Glasschrank und umkringelte die Anzeige vorsichtig. Jetzt kam der schwere Teil: Er musste sich bei der unbekannten Dame brieflich vorstellen.
    Dafür brauchte er Briefpapier und er meinte, irgendwann im Haus ein relativ annehmbares gesehen zu haben. Aber wann das gewesen war und wo es jetzt sein konnte – tja, das war etwas anderes. Im oberen Schlafzimmer stand ein Koffer von Tante Alice, in den Onkel Mick nach der Bestattung ihre Sachen eingeschlossen hatte. Da sie eine Frau gewesen war, könnte sie einen Briefblock gehabt haben, und der könnte dort oben vor sich hin gammeln. Bald nach dem Tode seiner Frau hatte Mick alles, was ihr gehört hatte, weggeräumt, denn er wusste ja, dass sie nicht zurückkommen würde. Er hatte es nicht ertragen, an frühere Zeiten erinnert zu werden. Und irgendwie hatte der kleine Jamie das verstanden.
    Er nahm zwei Stufen auf einmal und öffnete die Tür zum staubigen Schlafzimmer. Er wusste nicht mehr, wann er das letzte Mal hier oben gewesen war, wahrscheinlich gleich nach Micks Tod; seitdem hatte er keine Veranlassung gehabt, hochzukommen. Hier oben lauerten zu viele Erinnerungen an seinen kranken, bettlägerigen Onkel. Er sah Micks gezeichnetes Gesicht, in die dicken Kissen eingesunken wie ein verschrumpelter Pfirsich in einer Geschenkkiste, und er hörte, wie Mickmit krächzender Stimme vergeblich gegen den Kehlkopfkrebs kämpfte, der ihn schließlich umbringen sollte.
    Jamie war in der Tür stehen geblieben, niedergedrückt von den Gedanken an diese entsetzliche Zeit, und fürchtete sich davor, das Zimmer zu betreten und die abgestandene Luft einzuatmen. Dies war Micks Zimmer und ihm schien, als sei er noch immer hier.
    Alles war noch so, wie unmittelbar nach seinem Tod: das abgezogene Bett in der Ecke, die dunkle Kommode mit dem milchigen Spiegel, die angeschlagene Schüssel und der Krug auf dem kleinen Tisch am Fenster. Und wie er dort stand, fiel ein Sonnenstrahl auf die Dielen, als sollte er gewarnt werden, unbefugt hier einzudringen.
    Der abgestoßene Koffer lag unter dem Bett, seine Geheimnisse wurden hinter verrosteten Schlössern verwahrt, und Jamie befürchtete, dass er nicht imstande sein würde, das Zimmer zu durchqueren und ihn zu öffnen. Aus Respekt vor seinem Onkel. Er würde sich einen eigenen Schreibblock kaufen. Er war sicher, dass er wegen der Fehler reichlich viele Blätter brauchte, denn er hatte gar keine Übung im Schreiben.
    Behutsam schloss er die Tür und drehte den Schlüssel um. Er würde sofort zu Doris Crinks Poststelle fahren und einen besorgen.
    »Die Post kommt aber spät«, murmelte Lydia und sah von ihrer Armbanduhr auf die Wanduhr von Cousin Ethel. »Viertel nach eins ... Jetzt kommt sie wahrscheinlich gar nicht mehr.«
    Elizabeth Devine, die in einem gelben Pulloverkleid am anderen Ende des Tisches saß, ließ von ihrem Apfelstreusel mit Vanillepudding ab und sah ihre Tochter misstrauisch an.
    »Warum bist du denn plötzlich so an dem Briefträger interessiert? Er ist verheiratet, weißt du ... und ich kann doch hoffen, dass du jemanden aus den unteren Schichten gar nicht erst in Erwägung ziehst – noch nicht einmal in deinen Träumen.«
    Sie aß weiter. Die Tönung im Farbton violettes Stiefmütterchen war dunkler ausgefallen als erwartet. Sie hatte Susan bezichtigt, sie vergessen zu haben. Dabei hatte Susan keine Chance gehabt, Elizabeth unterdem Trockner hervorzuholen, ehe sie mit dem Artikel in der Cosmopolitan durch war: »Begehrt er Sie nur wegen Ihrer Brüste? Zehn Wege, es herauszufinden«.
    »Mutter, bitte ...« Lydia aß ihren Pudding langsam und mit Bedacht, aufrecht auf dem Thonet-Stuhl sitzend ließ sie den Silberlöffel in regelmäßigen Intervallen in den Pudding gleiten.
    »Du hast mir noch nicht viel über den Ausflug zum Women’s Institute erzählt. Ballymena kann so uninteressant auch nicht gewesen sein.« Ein Versuch, die Mutter von der Post abzulenken. Denn die konnte eine echte Miss Marple sein und der Hang dazu hatte sich zu Lydias Bestürzung mit dem Alter verstärkt.
    »Ach, wie sehen Städte denn heute schon aus: Das sind ja nur noch Läden und ordinäre Pubs. Beatrice konnte wegen ihrer Hühneraugen sowieso nicht so weit laufen, also haben wir den Großteil der Zeit in

Weitere Kostenlose Bücher