Der übersehene Mann: Roman
Teestuben verbracht. Und in den meisten wissen sie gar nicht mehr, wie man eine richtige Tasse Tee zubereitet. Sie wärmen die Teekanne vorher nicht an. Beattie und ich schmecken das beim ersten Schluck.«
»Habt ihr euch nicht beschwert?«
»Beim ersten Mal schon. Da ist der Manager gekommen. Ach, du kennst solche Typen: kaum aus den Windeln ... ein junger Stenz in einem Anzug von der Stange und in Sneakers. Er hat Beattie und mich angesehen, als ob wir verrückt wären, dann hat er gesagt: ›Ladies, was meinen Sie, wo wir hier sind, im Viktorianischen England? Dies hier ist eine Cafeteria. Sehen Sie den großen blubbernden Fünf-Liter-Stahlbottich da drüben? Das ist die Antwort des zwanzigsten Jahrhunderts auf die Teekanne. Sie steht allen zu Diensten, die hier reinkommen, und ich hatte noch nie irgendwelche Beschwerden, bis heute.‹ Grässlich, er wurde laut und rot und die Leute haben sich zu uns umgedreht. Beattie und ich haben uns geschämt.«
»Wie schrecklich.« Lydia griff nach ihrer Serviette. »Und was habt ihr getan?«
»Na ja, ich dachte, den grünen Jungen lasse ich damit nicht durchkommen, also hab ich gesagt: Ich würde mich freuen, wenn Sie uns etwas höflicher behandeln würden, junger Mann.«
»Gut gemacht! Und was hat er dazu gesagt?«
»Ach, es wurde nur schlimmer. Er hat gesagt: ›Wenn Sie meinen Tee nicht mögen, schlage ich vor, dass Sie woanders hingehen, denn ich habe ein Geschäft zu managen und keine Zeit, hier rumzustehen und mit zwei alten Schrullen wie Ihnen über Teezubereitung zu diskutieren.‹«
»Was für eine Frechheit!«
»Genau, das war wirklich unverschämt. Also sind wir aufgestanden. Die arme Beattie konnte mit ihren Hühneraugen kaum laufen und hat gesagt: ›Machen Sie sich keine Sorgen, wir sind schon weg. Sie haben eine schlechte Kinderstube gehabt und wenn Sie mein Sohn wären, dann würde ich Ihnen die Ohren langziehen!‹ Und weißt du was, als wir gegangen sind, haben die Leute im Café applaudiert, und er war außer sich vor Wut.« Elizabeth schob das Schälchen mit dem Nachtisch fort. »Gibt es schon Tee?«
»Ich mache uns welchen und ich verspreche dir, die Teekanne anzuwärmen«, sagte Lydia lächelnd. »Es tut mir so leid, Mutter. Hört sich nicht so an, als hättest du einen schönen Tag gehabt.«
»Ach, das haben wir schnell weggesteckt. Wir wollten uns von dem jungen Burschen doch nicht den Tag verderben lassen und haben uns was gegönnt. Beattie hat sich eine schöne Malen-nach-Zahlen-Vorlage gekauft, auf der eine Stute mit Fohlen vor einem See steht, und ich habe mir den kleinen Wandteppich mit der Hütte gekauft und diese Stützstrumpfhose von Wolford mit den verstärkten Zehen, die ich dir schon gezeigt habe. Und später haben wir Sandwiches im Lakeside Hotel gegessen. Da wissen sie wenigstens, wie die Sachen zubereitet werden ...«
Lydia stand auf, um den Tee zu machen.
»... Georg-Jensen-Silber und dieses zartrote Rosengeschirr, das deine Tante Hattie so geliebt hat. Weißt du, das gab es neunzehnhundertdreizehn in Belgien, als sie Au-Pair-Mädchen bei den Vansittarts war. Oh, das war eine vornehme Familie, Aristokraten, glaube ich, ...«
»Wirklich ...?« Lydia hörte kaum zu. Sie war an die endlosen Monologe ihrer Mutter gewöhnt. Sie warf einen Blick in den Garten, den sie heute besonders schön fand. Besonders stolz war sie auf ihr Gemüsebeet;das Anpflanzen von Karotten, Kartoffeln, Blumenkohl und Rosenkohl drückte ihre Naturverbundenheit aus und ihr Vertrauen in die Kraft der Natur. Für Lydia beschränkten sich Ordnung und Sauberkeit nicht aufs Haus, sie schrubbte auch den Bürgersteig, schnitt die Hecken und mähte den Rasen.
»... und danach haben wir Flaschendrehen gespielt und dann hat uns Mrs Leslie Lloyd-Peacock Dias von ihrer Reise nach Kanada gezeigt. Oh, Mrs Lloyd-Peacock ist eine wahre Dame! Sie war mit den Rickman-Ritchies bekannt, weißt du, mit den Leinenhändlern. Oh, sehr nobel und wohlhabend und solche guten Freunde von Vaters ...«
»Mmh ...«, murmelte Lydia. Zwischen den Gemüsereihen stachen ihr ein paar hässliche Löwenzahnblüten ins Auge, die in der Mittagsbrise mit den Köpfen nickten, und sie fragte sich, wie sie die um alles in der Welt so lange übersehen haben konnte. Sie nahm sich vor, gleich nach dem Tee Unkraut zu jäten.
Sie servierte den Tee und erlaubte sich einen kurzen Seitenblick den Flur herunter, aber es war immer noch keine Post gekommen. Ihre Mutter durfte die Briefe auf keinen Fall
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