Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der übersehene Mann: Roman

Der übersehene Mann: Roman

Titel: Der übersehene Mann: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christina McKenna
Vom Netzwerk:
Jamie jetzt in die dunklen Gassen vor, die ihm so große Angst machten. Warum sollte ich nach einer Frau suchen, fragte er sich. Rose, Paddy und Dr. Brewster halten das für eine gute Sache, aber woher sollen sie wissen, wie unendlich hart das für mich ist. Sie wissen nichts über das Waisenheim und von dem, was man mir dort angetan hat. Außerdem hatte er den Brief an diese mysteriöse Frau vor zwei Wochen abgeschickt und sie hatte noch nicht geantwortet. Gewiss würde sie es jetzt auch nicht mehr tun.
    Er starrte wieder auf das Valium in seiner Handfläche, dann warf er die Pillen ins Feuer, kippte den Tee herunter und ging hinaus.
    Shep sprang an ihm hoch, als er in den Sonnenschein trat. Jamie lächelte, kraulte den Hund und lief zielstrebig zur Scheune, Shep auf denFersen. Dort blieb er in der staubigen Stille stehen und blickte zu den Deckenträgern hoch. Den letzten hatte Mick dort eingezogen, als Jamie noch ein Junge gewesen war. Der konnte der Richtige sein. Er sah vom Dachsparren auf die Schnur für die Heuballen, dann wieder auf den Decken träger. Ja, es wäre so einfach, dachte er. Das Seil und der Balken könnten mich von all diesem hier befreien. Und mich in Windeseile ins Paradies befördern, wo ich wieder mit Mick und Alice zusammen wäre. Nur einen Atemzug entfernt, dachte er. Nur einen Atemzug.
    »Hi, Jamie, steckst du da drinne?«, rief jemand von draußen.
    Shep bellte bei dem seltenen Anblick: Scrunty Branny, der Postbote, kam auf den Hof geradelt. Jamies Herz machte einen Satz, als er ihn sah. Aber er wagte nicht zu hoffen.
    »Wie geht’s, Scrunty? Dich sieht man ja selten hier oben.«
    Scrunty Branny, ein dicker Bauer wie von Bruegel mit Hamsterbäckchen und einer Warze auf dem linken Augenlid, stieg schwerfällig und heftig atmend vom Rad. »Ja, und es is ... es is gut ... gut, dass du nich so oft Post bekommst, Jamie.« Er schob seinen Tornister auf seine wohlgenährte Vorderseite und seufzte. »Denn dein Hügel da hätte mich fast auf dem Gewissen, jawoll!«
    »Ganz schön steil, wenn du nich dran gewöhnt bist«, stimmte Jamie ihm zu.
    Shep und er sahen interessiert zu, wie Scrunty ein mit einem Gummiband zusammengehaltenes Päckchen Post hervorkramte. Er leckte einen Finger an, blätterte es durch und zog einen Umschlag hervor.
    »Großartige Handschrift, Jamie, ich frag mich, von wem er is.«
    Jamie sah seine eigene Adresse in einer eleganten Handschrift, die nur einer Frau gehören konnte. Er glaubte zu wissen, von wem er war. Aber Scrunty Branny, das schwor er sich, sollte der Letzte sein, der das erfuhr.
    »Könnte von Micks Schwester in Amerika sein«, log Jamie und vermied es, in Scruntys forschende Knopfaugen zu blicken.
    »Aber dann hätte er doch einen Airmail-Stempel. Dieser Brief stammt von hier.«
    »Gott, da haste recht. Na ja, bis bald, Scrunty.« Jamie ging schnell ins Haus und ließ den Briefträger verdattert mit seinen buschigen Augenbrauen dort stehen.
    In der kleinen Küche fand er ein Messer, an dem noch der Zitronenaufstrich vom Vortag klebte. Er wischte es an der Schuhsohle ab, schlitzte den Umschlag auf und ließ sich wieder in den Lehnstuhl fallen. Dann faltete er die makellosen Seiten auseinander und begann zu lesen.
    Elmwood House
River Road
Killoran
    Lieber Mr McCloone,
    vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, meine Anzeige im Mid-Ulster Vindicator vom 17. Juli zu beantworten.
    Ich würde Sie gerne kennenlernen, aber vorher wäre es nur fair, wenn Sie auch etwas über mich erfahren. Außerdem möchte ich Ihnen gerne ein paar Fragen stellen, damit ich mir ein besseres Bild von Ihnen machen kann. Ich entschuldige mich im Voraus, falls sie meine Fragen für aufdringlich halten. Aber wissen Sie, ich bin ein grundehrlicher Mensch. Die Erfahrung hat mich gelehrt, dass wir sonst vielleicht nur unsere Zeit verschwenden würden.
    Jamie kratzte sich am Kopf und fragte sich, was sie damit wohl sagen wollte. Vielleicht würde er es ja bald herausfinden.
    Ich bin in etwa so alt wie Sie. Ich bin seit Jahren Lehrerin an der Grundschule in Killoran. Mir macht die Arbeit mit Kindern Spaß, ich stelle mich gern der Herausforderung, junge Köpfe zu formen.
    Das Wort »Lehrerin« ängstigte Jamie, denn seine Erinnerungen an Vertreterinnen dieses Berufsstandes waren alles andere als glücklich.
    In meiner Freizeit lese ich gerne, vor allem romantische Romane und historische Biografien, auch wenn ich mich dieser Leidenschaft nur während der Ferien ganz widmen kann.

Weitere Kostenlose Bücher