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Der Umfang der Hoelle

Der Umfang der Hoelle

Titel: Der Umfang der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Rest seines Lebens in einem Rollstuhl verbringen würde. Nur ungenügend vom Immergrün der Tannen gebremst, war er mit dem Rücken auf dem Waldboden aufgeprallt. Unglücklich aufgeprallt, wenn man nicht umgekehrt das bloße Überleben als großes Glück begriff. Genau das aber tat Reisiger. Er war milde gegen sein Schicksal. Immerhin konnte er – da hatte Marzell schon recht gehabt – seine Arme bewegen. Und nach erfolgter Heilung würde dies auch für sämtliche Finger gelten. Sein Hals ließ sich drehen, sein Oberkörper vorbeugen, und er war so ziemlich bei Verstand geblieben. Ein Punkt allerdings verwirrte ihn zutiefst. Und zwar die Ankündigung seiner Frau, sich in Zukunft um ihn kümmern zu wollen.
    Er lehnte ab. Das sei eine schlechte Idee, unnötig, unpassend, sentimental. Er sei gut versichert und die Rollstuhlindustrie auf der Höhe ihrer Zeit.
    »Du brauchst jemand, der dich beschützt«, entgegnete seine Frau.
    »Du hast doch gar keine Zeit für solche Sachen.«
    »Genug geschwommen. Genug Filme gesehen. Der Moment ist da, etwas Vernünftiges zu tun.«
    »Das meinst du nicht ernst«, lächelte Reisiger verbissen. »Außerdem würden wir uns nur auf die Nerven gehen.«
    »Das muß man aushalten.«
    »Ehrlich, Babett, das kann nicht gutgehen«, erklärte Reisiger, den ungeliebten Vornamen seiner Frau wie ein falsches Gebiß in den Mund nehmend. Falsch auch im Sinne von fremd, somit ein fremdes falsches Gebiß.
    »Warum denn nicht?« fragte Babett.
    »Du bist einfach nicht zur Krankenschwester geboren.«
    »Geboren vielleicht nicht. Aber es gibt eine Bestimmung, die steht eben außerhalb des eigenen Talents. So what.« Eine weitere Diskussion ließ Babett nicht zu.
    Leichter hatte es Reisiger mit seinen Kindern, die betreten dastanden, unsicher, welche ideellen Leistungen ihnen die Invalidität des Vaters abringen würde. Umso erleichterter waren sie, zu hören, daß er zwar froh sei, sie zu sehen, aber nicht minder froh, wenn sie alsbald wieder an ihre Lebensorte zurückkehren und weitermachen würden wie zuvor. Er sagte: »Manche Liebe wächst mit der Entfernung. Das ist beschämend. Aber es ist so.«
    »Ich dachte immer«, meinte sein Sohn, »daß ich es wäre, der einmal im Rollstuhl landet.«
    »Es gibt gefährlichere Orte als den Rücken eines Pferdes«, äußerte sein Vater.
    Auch Eva Rösner, die Detektivin, erschien an Reisigers Krankenbett. Was ihm eine große Freude war, da er befürchtet hatte, es wäre Tom Pliskas Aufgabe gewesen, sie zu liquidieren. Was Tom aber nie getan hätte. Nein, er hatte Eva Rösner tatsächlich zum nächsten Bahnhof gebracht und ihr liebevoll empfohlen, sich um ihretwillen aus der Angelegenheit herauszuhalten. Wenn eine Bombe ticke, solle man nicht gerade in nächster Nähe stehen.
    »Er hat gespürt«, meinte Rösner, »daß alles ein böses Ende nehmen wird. Er hat die Verrücktheit seines Chefs gefürchtet.«
    »Na ja, er war ja selbst nicht ganz normal«, meinte Reisiger.
    »Eher ungewöhnlich. Schade um ihn.«
    »Für wen arbeiten Sie eigentlich?« blieb Reisiger beim Sie. Geduzt hätte er allein jene Kim Turinsky, die nun nicht mehr existierte.
    »Wie Bobeck ahnte«, sagte Rösner, »für eine Zeitung. Keine sehr große. Sonst hätten sie kaum jemand wie mich engagiert. Dabei dachte ich, es sei raffiniert, sich an den Mann anzuhängen, der versucht hat, Claire Rubin zu retten. Auch weil ich überzeugt war, es stecke mehr dahinter als reine Zivilcourage. Und als ich herausbekam, Sie würden von München nach Linz fliegen, konnte ich mir ja denken, wohin es gehen soll. Allerdings fand ich es besser, mich schon in München vorzustellen.«
    »Vorzustellen?«
    »Na ja, wie man’s sehen will.«
    »Was war mit dieser Frau im Zug …? Also, mir ist das jetzt ein bißchen peinlich.«
    »Warum denn? Die Frau stand auf Sie. Ich habe mich nur zurückgezogen.«
    »Das soll ich glauben?«
    »Was dachten Sie denn?« fragte die Detektivin. »Daß ich die Dame gezwungen hab, Sie nett zu behandeln?«
    »Nett ist kein Ausdruck«, erinnerte sich Reisiger. »Na, lassen wir das. Es bleibt eine Marginalie. Und war in meinem Fall ein letztes kleines Geschenk des Himmels. Der Sex ist ja nun passé.«
    »Das ist traurig.«
    »Ach was«, wehrte Reisiger ab. »Apropos Geschenk. Nun, das ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck. Da wäre dieser Hund, Sie wissen schon, Vier mit den drei Beinen. Pliskas Hund.«
    »Sind Sie sicher, daß es Pliskas Hund war?«
    »Absolut«, log Reisiger

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