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Der Umfang der Hoelle

Der Umfang der Hoelle

Titel: Der Umfang der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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und wie ein robuster Homunculus durch die Kuppelwand zu brechen. Aber es mußte auch ohne Regina gehen. Nicht aber ohne einen Fotoapparat. Ein solcher war an das Okular angefügt. Reisiger riß das Gerät aus der Verankerung, und nicht anders als Fred, als dieser seine Kamera ins Gesicht eines der Beaubecks geschlagen hatte, donnerte Reisiger nun den Fotoapparat in den Schaltkasten hinein. Und zwar mit einer Wucht, die ihn selbst überraschte. Leider aber auch dazu führte, daß mehrere Fingerknochen brachen und ein Metallteil nun auch seinen rechten Daumenmuskel aufschnitt. In seinen Schrei hinein vermengte sich das Motorengeräusch der sich öffnenden Kuppel. So ist das mit der Gewalt. Manche Maschinen verstehen keine andere Sprache.
    Das Licht des Mondes strömte wie übergehender Schaum in das Innere und bildete einen hellen Teppich, auf den sich alle sofort begaben. Freilich führte dieser Teppich nicht direkt ins Freie, jetzt einmal abgesehen davon, daß man sich in einer Höhe von etwa zwanzig Metern befand. Der Spalt der Kuppel endete hoch über den Köpfen der Flüchtenden, die ja jetzt nicht nur im Licht standen, sondern auch auf einem bereits glühenden Boden, gegen den von unten her die Flammen schlugen. Das Feuer verdankte seine Heftigkeit dem Umstand eines Holzgerüstes, das den Boden unter dem Teleskop zusätzlich stützte.
    Es waren jetzt erneut die Semperburschen, die sich initiativ zeigten, einen Tisch heranschoben, einen Sessel daraufstellten und einem nach dem anderen halfen, nach draußen zu gelangen, um auf einer Leiter, die nun wahrlich den Namen Feuerleiter verdiente, zur balkonartigen Umfassung der Turmhaube hinunterzusteigen. Unglückseligerweise war es das auch schon. Weiter führten die Sprossen nicht, die wohl nur der Wartung des Spaltsegments dienten. Immerhin umschloß das Geländer die gesamte Kuppel, sodaß man auch jene Stelle erreichte, an welcher der Turm besonders dicht an den Wald anschloß. Allerdings lagen die Kronen der Bäume einige Meter tiefer. Nicht, daß es eine Alternative gab. Es wäre sinnlos gewesen, zu warten. Man mußte springen. In die Bäume hinein, hoffend, daß die Äste einen tragen, zumindest den Sturz in entscheidender Weise vermindern würden.
    Keine Zeit für Diskussionen also. Aber genau eine solche ergab sich nun zwischen Claire Rubin und Mona Herzig, als die beiden im selben Moment auf das breite Mauerwerk der Brüstung stiegen. Sie hatten sich etwas zu sagen, die Ehefrau und die Liebhaberin, und vielleicht auch Angst, daß, wenn sie unten ankamen, es nichts mehr zu sagen geben würde. Jedenfalls gerieten sie in Streit, gerieten auch körperlich aneinander, eine die andere zerrend. Und stürzten ab. Gewissermaßen umschlungen, in ungewollter Vereinigung. Viel zu knapp am Turm, als daß die dünnen Astenden ihren Fall hätten bremsen können.
    Sie schlugen auf. Vorbei.
    Da war nun niemand, der es ihnen gleichtun wollte. In Pärchen oder einzeln kletterte man auf die Brüstung, ging in die Knie, stieß sich ab und flog hinaus in die Nacht. Niemand schrie. Allein das Krachen der Äste zog eine akustische Spur. Als letztes folgten Marzell und Reisiger, die äußerste Zone wählend, um nicht auf einem der zuvor Gesprungenen zu landen.
    In diesem Moment wurde dem Pfarrer klar, daß er nicht nur überleben, sondern auch, daß er Kardinal werden würde. Es war eine Ahnung, klar wie der Blick durch ein perfekt eingestelltes Mikroskop. Er sah die Zukunft aus nächster Nähe. Und hechtete mit einem Lächeln ins Leere.
    Reisiger wiederum bedauerte, den Mond hinter sich zu haben, also mit der eigenen Front nun selbst eine vom Licht abgewandte Hälfte zu bilden. Aber mit dem Rücken voran zu springen erschien ihm dann doch übertrieben. Die Sache war schwierig genug. Trotz der beträchtlichen Schmerzen in seiner von Brüchen durchzogenen Hand bog er die Arme weit zurück, schleuderte sie nach vorn und sprang hinaus. Und derart im Sturz begriffen, die Luft wie ein viel zu weiches Bett wahrnehmend, ein Loch von einem Bett, drehte er nun doch seinen Körper, erkannte den Mond, so groß und deutlich wie damals, als er, in einem Hotelzimmer stehend, seinen Lottoschein verbrannt hatte. Dort oben lag Purbach, unerreichbar wie alle Paradiese.
    Endlich schloß sich das Loch in seinem Bett, und Reisiger brach durch das Geäst wie durch eine Serie dünner Lattenroste. Kein Film lief durch seinen Kopf. Nur ein einziges Foto, das einen Strauß Blumen zeigte. Ärger erfüllte ihn.

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