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Der Umfang der Hoelle

Der Umfang der Hoelle

Titel: Der Umfang der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Plattenspielern aufzugeben.«
    »Siehst du. Wie bei mir.«
    »Aber du liebst doch deine Filme, deine Festivals, du liebst es, das amerikanische Kino durch den Kakao zu ziehen und das deutsche durch den Dreck.«
    »Ich habe nicht gesagt, daß ich aufhören möchte, mir Filme anzusehen. Aber mich nervt die Schreiberei. Mich nerven diese Schauspieler und Regisseure, diese Zicken und Diven. Ich habe das satt. So wie ich es satt habe, irgendwohin zu fliegen, um dann mit den immergleichen Leuten in den Hotellobbys herumzuhängen. Wie bei Kriegsberichterstattern. Ich bin dreimal im Jahr in Tokio. Aber was kenne ich von Tokio?«
    »Was hast du vor auf dieser Weltreise?« fragte Leo, aus dem Fenster sehend, das geschlossene Lid eines frühen Mondes erhaschend. »Dir Slums ansehen? Dem Papst über den Weg laufen? Diamanten suchen? Krokodile fangen, wie dieser Kerl da …?«
    »Ich will«, erklärte Babett, »daß wir uns was gönnen. Wir haben das Geld dazu. Das weißt du. Was willst du mit dem Geld tun? Es unseren Kindern vermachen? Die haben ihr eigenes Geld. Die kriegen mal das Haus, die Antiquitäten von meiner Mutter, die Lebensversicherung. Die kriegen deine unangetasteten Aktien, die wie Kaninchen im Stall hocken, fett werden oder sterben. Also Leo, entscheid dich für diese Reise, solange dein Gott uns die Zeit dazu läßt.«
    »Du könntest doch alleine fahren«, schlug Leo vor.
    »Dafür habe ich dich nicht geheiratet.«
    »Was soll das jetzt heißen? Seitdem die Kinder aus dem Haus sind, haben wir uns kaum mehr als zweimal im Jahr gesehen. Du hast wahrscheinlich mit mehr Männern geschlafen, als ich in dieser Zeit Überstunden hatte.«
    »Warum mußt du gleich so übertreiben?«
    »Dagegen habe ich ja auch nichts, ich meine gegen die Männer. Aber jetzt plötzlich möchtest du, daß wir ein altes Ehepaar sind.«
    »Genau das«, bestimmte Babett. »Die wilde Zeit ist vorbei. Die Kinder sind erwachsen, die Liebhaber vergessen, deine komische Claire-Rubin-Geschichte überstanden. Wir haben noch ein paar Jahre vor uns. Und zumindest eines davon sollten wir nutzen, um uns unseren Planeten anzusehen. Ohne Streß, ohne Mühe, aber mehr als bloß ein paar Hotellobbys und ein paar Straßen mit Boutiquen rechts und links.«
    »Wir könnten achtzig werden, neunzig. Was weiß ich?«
    »Ich rede von guten Jahren, in denen man sich noch bewegen kann.«
    »Du findest also«, sagte Leo, »daß ich mich noch bewegen kann.«
    »Okay, das war eine unglückliche Formulierung. Ich meinte bloß, wir sollten nicht warten, bis wir so senil geworden sind, daß wir auf dem Tafelberg stehen und glauben, wir würden auf Zell am See hinuntersehen.«
    »Dir scheint kein Vergleich zu billig.«
    »Keiner. Das stimmt.«
    »Daß heißt«, stellte Leo fest, »daß du fest entschlossen bist, mich da mitzuschleppen?«
    »Fest entschlossen«, bestätigte Babett mit einem Siegerlächeln.
    Reisiger bestand darauf, daß die Idee absurd sei. Aber er resignierte: »Wie soll ich mich wehren? Wenn du meinen Rollstuhl packst und mich irgendwohin schiebst, muß ich mir das gefallen lassen.«
    »Es wird wunderbar werden«, versprach Babett.
    Leo Reisiger verdrehte die Augen. Dann griff er nach den Rädern und führte seinen Stuhl näher an das Fenster heran. Es war ihm ein Trost, daß der Mond überall auf der Welt schien, wenn auch nicht überall in der gleichen Weise. Nun gut, es würden sich auf dieser Reise sicherlich wunderbare Mondansichten ergeben. Das war wenigstens ein guter Grund, die Sicherheit eines komfortablen Einfamilienhauses aufzugeben. Andererseits war ein Jahr eine viel zu lange Zeit für einen so kleinen Planeten wie die Erde. Egal. Die Sache war entschieden. Und vielleicht hatte Babett sogar recht. Vielleicht besaß diese ganze Ehe – von der artgerechten Zeugung zweier Kinder einmal abgesehen – seinen tieferen Sinn in einer Umrundung der Welt.
    Eine Weltreise muß vorbereitet sein, will man nicht auf Bahnhöfen und Flughäfen tagelang herumstehen und in Schlafsälen übernachten, in denen die Pilze aus den Wänden und Matratzen schießen. In einem Punkt hatte Babett natürlich recht: Es war genügend Geld vorhanden. Sie waren nicht reich, aber durchaus vermögend. Beide Reisigers hatten in all den Jahren kaum eine größere Anschaffung getätigt. Man war kleine, gebrauchte Autos gefahren, hatte die eine oder andere Ausschweifung im Zuge bezahlter Geschäftsreisen getätigt, war so gut wie nie in Urlaub gefahren und hatte das Gesparte in

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