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Der Umfang der Hoelle

Der Umfang der Hoelle

Titel: Der Umfang der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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sich, daß man ein lebhaftes Interesse an ihrer Festnahme besaß. Sie war immerhin die Rädelsführerin dieser Geiselnahme, welche übrigens beim Eintreffen der Polizei von den Hooligans in der friedlichsten Weise beendet worden war. Sodaß endlich die ganze sinnlose Telefoniererei ein Ende gehabt hatte.
    Augenblicklich war eine Fahndung nach Gerda Semper eingeleitet worden. Wie dann auch, in Folge erster Zeugenaussagen, nach ihrem Bruder, Siem Bobeck. Straßensperren wurden errichtet, Bahnstationen und Flughäfen kontrolliert, Staatsanwälte aus dem Bett geholt, Kollegen aus Deutschland mit seltener Rasanz einbezogen. Umsonst. Siem und Gerda waren wie vom Erdboden verschluckt, sodaß der Verdacht aufkam, sie würden sich – getrennt voneinander, was sich versteht – genau in diesem Erdboden aufhalten. Ein guter Grund, Purbach auf den Kopf zu stellen. Nicht nur sämtliche Keller sowie ein aufgelassener Bergwerksstollen wurden überprüft, sondern auch unterirdische Gänge entdeckt, die das Schloß mit anderen Gebäuden, ja sogar mit der Purbachschen Kirche verbanden. Aber kein Anzeichen der beiden Gesuchten. Kein Tropfen Blut, kein Fußabdruck, nichts.
    Es war ein Glück, ein Glück für die österreichische Polizei, daß sie so überaus rasch und unbürokratisch ihre deutschen Amtskollegen zur Mitarbeit eingeladen hatte. So ließ sich der Verdacht schmälern, pure Schlamperei und Idiotie habe zum Nichtauffinden von Spuren geführt. Von den Flüchtenden selbst einmal abgesehen. Nicht zu verhindern waren freilich die hämischen bis beleidigenden Kommentare der Presse, die sich die Behörden beider Länder gefallen lassen mußten, weil sie die Hilferufe hundertfünfzig gefangener Ehrengäste nicht ernst genommen hatten. Da konnten sie soviel begründen, wie sie wollten. Der Wirbel war beträchtlich. Die Stimmung schlecht. In gewisser Weise stand die ganze Kultur mobilen Telefonierens für einen Moment auf der Kippe. In ganz Europa wurde überlegt, wie sinnvoll diese Handys eigentlich waren, wenn im Ernstfall derart wenig dabei herauskam. Natürlich telefonierten die Leute selten mit der Polizei, führten in erster Linie Privatgespräche, aber auch solche waren ja im Fall der Hundertfünfzig , wie man sie dann nur noch nannte, folgenlos geblieben. Den erlösenden Anruf hatte erst Pfarrer Marzell getätigt, und zwar von seinem Büro aus, per Festnetz.
    Das ist übrigens kein Witz. Wenige Tage lang erlebten die Telefongesellschaften – die ja gar nicht Schuld hatten – ungeheure Einbrüche. Viele Menschen verweigerten die Benutzung ihrer Handys. Das war ein Augenblick gewesen, da Großes, und zwar wirklich Großes hätte geschehen können.
    Es sollte nicht sein. Vielleicht auch, weil Pfarrer Marzell noch nicht Kardinal war, noch nicht den Einfluß besaß, der nötig gewesen wäre, das in der Luft liegende Potential zu kanalisieren. Auf eine neue Ordnung einzustimmen. So blieb also bloßer Unmut, der bald verebbte.
    Hartnäckiger war die Suche nach Gerda Semper und Siem Bobeck, welche auf die gesamte Welt ausgedehnt wurde. Nicht, weil es nicht schlimmere Verbrecher gab. Aber die Niederlage, welche die österreichischen und deutschen Beamten erlitten hatten, stachelte ihren Ehrgeiz an. Vergebens. Der Ehrgeiz fruchtete nicht. Das Geschwisterpaar blieb verschollen. Und auch wenn Siem Bobeck natürlich als Wissenschaftler seine Reputation einbüßte und kein Nobelpreiskomitee je wieder auf die Idee kam, seinen Namen auch nur zu denken, so war es um seinen Mythos bestens bestellt. Die Sache mit dem Regina sprach sich herum. Und vor allem unter den jüngeren Leuten galt Bobeck als Pionier einer Droge, deren Produktion man sehnlichst erwartete. Die Vorstellung einer »kultivierten, reflexiven Gewalt« betörte. Von dem finnischen Urheber aber – so sehr alles Finnische auch in Mode war – wurde nicht gesprochen. Bobeck, dieser Dämon, gab einfach mehr her.
    Zum zweiten Mal in kurzer Zeit lag Leo Reisiger im Krankenhaus. Das journalistische Interesse an seiner Person war nun ungleich größer, er galt sozusagen als Veteran in dieser Geschichte. Selbst seine Frau erschien in der Klinik, dann auch noch seine Kinder, als zwinge Leo Reisigers hartnäckiges Einfangen von Verletzungen seine Familie dazu, sich um ihn zu scharen.
    Die Sache mit den Verletzungen erwies sich diesmal aber auch wirklich als einschneidend. Die gebrochenen Finger waren leider nicht das Problem. Das Problem war, daß Reisiger mit einiger Sicherheit den

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