Der Umfang der Hoelle
hinterherschleppt, bedarf es keiner Ausweise und Genehmigungen. Der Hund ist die Legitimation. Sein Elend bewegt, und es versichert. Wer wollte auch annehmen, daß ein Mensch mit einem solchen Hund etwas Böses im Schilde führt.«
»Und? Führen Sie etwas Böses im Schilde?« fragte Reisiger ungeduldig.
»Ich bin hier, um eine Einladung auszusprechen. Im Auftrag, versteht sich. Es wäre schön, wenn Sie annehmen würden.«
»Sie werden mir jetzt hoffentlich sagen, wer mich einlädt und wohin.«
»Das liegt doch auf der Hand.«
»Nein, tut es nicht«, verkündete Reisiger mit anwachsendem Ärger. Eigentlich hatte er Lust, diesen pillenschluckenden Rüschenhemdträger einfach hinauszuwerfen. Ganz gleich, was der zu sagen hatte. Ganz gleich, wie schön dessen schwarzweißer Hund das Holzbein von sich streckte.
»Bobeck«, sagte Pliska. »Siem Bobeck.«
Reisiger machte ein ratloses Gesicht.
»Sie sollten wissen, wer Siem Bobeck ist«, meinte Pliska. »Sie haben seine Frau gerettet. Oder sagen wir lieber, seine Frau hat Sie gerettet.«
»So würde ich das nicht sehen. Dieser Junge, der starb, dieser …«
»Fred Semper«, erinnerte Pliska.
»Ja. Dieser Fred Semper hätte nie und nimmer zugestochen.«
»Fred war ein Aas«, sagte Pliska. »Er hätte kaum darauf verzichtet, Ihnen einiges an Schmerzen zuzufügen. Er besaß eine sadistische Ader. Und ein Inszenierungsbedürfnis. Von seinen Kumpels abgesehen, wird niemand ihn vermissen. Auch seine Mutter nicht. Sie ist Siem Bobecks Schwester. Eine fürchterliche Familie, die Sempers. Es gibt Leute, die bestehen einzig und allein aus einem Loch, in dem Geld verschwindet. Die Sempers sind so.«
»Bobecks Geld, nehme ich doch an.«
»Herr Bobeck ist ein großzügiger Mensch. Ich persönlich halte das für einen Fehler, obgleich ich für Siem Bobeck arbeite und die Höhe seiner Entlohnung zu schätzen weiß. Aber eine Familie wie die Sempers gehört ausgehungert. Mit jedem Geldschein rutschen die tiefer ins Asoziale und Abartige.«
»Was sind Sie eigentlich? Bobecks Leibwächter?«
»Sein Sekretär«, sagte Pliska. »Herr Bobeck lebt äußerst zurückgezogen. Was außerhalb dieser Zurückgezogenheit zu erledigen ist, überläßt er mir. Zum Beispiel hierherzufahren, um Sie, cher Monsieur, für das nächste Wochenende einzuladen. Herr Bobeck würde sich gerne mit Ihnen unterhalten.«
»Er kann mich anrufen, wenn er das für nötig hält.«
»Er hält es für nötig, Ihnen persönlich zu begegnen.«
»Warum schickt er dann Sie?«
»Er verläßt sein Haus nicht.«
»Eine Krankheit?« fragte Reisiger.
»Das auch«, sagte Pliska. Und ergänzte: »Eine Störung des Gleichgewichtssinns. Es ist Herrn Bobeck unmöglich, sich freihändig durch einen Raum zu bewegen. Da nützt auch ein Stock nichts und keine helfende Hand. Abgesehen davon, daß Herr Bobeck es nicht schätzt, an der Hand geführt zu werden. Wer schätzt das schon?«
»Man kann ja auch sitzen.«
»Richtig. Herr Bobeck ist ein Freund des Sitzens, also ein Freund der Stühle. Weniger aber der Rollstühle. Weshalb er es vorzieht, zu Hause zu bleiben.«
»Nun, was auch immer sich Herr Bobeck von mir erwartet«, sagte Reisiger, »ich würde ihn enttäuschen. Meine Reaktion in dieser Sache war unkontrolliert, unmäßig und gedankenlos. Ich wollte nicht wirklich jemand retten. Ich wollte nicht wirklich in eine Schlägerei geraten. Sehen Sie mich an, für wen halten Sie mich?«
»Es ist nicht mein Job, Sie für jemand Bestimmten zu halten«, meinte Pliska kühl. »Ich soll Sie nur davon überzeugen, wie sehr es Herrn und Frau Bobeck freuen würde, könnten Sie dieser Einladung folgen. Die Bobecks bewohnen ein wunderbares Haus in einer wunderbaren Gegend. Eine Menge Leute wären glücklich, in dieses Haus aufgenommen zu werden. Selbst der Kanzler. Selbst der Bundespräsident. Aber die bleiben draußen, egal, wie sie gerade heißen.«
»So reich?« fragte Reisiger.
»Das ist keine Frage des Reichtums, sich einen Kanzler vom Hals zu halten. Halten zu wollen. Eher eine Frage des guten Geschmacks. Herr Bobeck ist fraglos der führende Molekularbiologe und der führende Verhaltensforscher unserer Zeit, ohne Professur, ohne Institut, quasi von seinem Schreibtisch aus, von seinem Kopf aus. Man hätte ihm längst den Nobelpreis zugesprochen, hätte er nicht dezidiert erklärt, einen solchen Preis niemals annehmen zu wollen. Den Nobelpreis annehmen, das wäre für Bobeck, als müßte er den Ring des Papstes
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