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Der Umfang der Hoelle

Der Umfang der Hoelle

Titel: Der Umfang der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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manchmal geschieht, wenn man sagt, ich liebe dich, oder großmundig verlauten läßt, ich verzeihe alles, oder ein Theaterabonnement bestellt, um dann trostlose Abende abzusitzen. Er erklärte also, es sich überlegt zu haben, er wolle die Einladung annehmen. Warum auch nicht. Ein Wochenende sei nicht das Leben.
    »Das freut mich«, meinte Pliska ohne jeden Spott, jetzt auch stimmlich in eine ganz andere Region vordringend, in eine gewissermaßen gemäßigte Zone. In dieser auch verbleibend, erklärte er, daß sich in dem Kuvert nicht nur das Flugticket befände, sondern auch eine Bahnkarte erster Klasse nach München, von wo Samstag morgen der Flieger nach Linz starte.
    »Herr Bobeck will Ihnen aber nicht zumuten«, sagte Pliska, »zeitig in der Früh auf die Bahn zu müssen. Weshalb er für Sie in München ein Zimmer hat reservieren lassen. Freitag abend, morgen also.«
    Der Name des Hotels, den Pliska nannte, besaß den Klang eines vorbeischießenden Sportwagens. Als köpfe man einen Drachen.
    »Eine Frage noch«, wandte sich Reisiger an den Mann, den er gerade noch zum Teufel hatte schicken wollen, »wo genau liegt dieses Purbach?«
    »Südlich von Linz, im Garstner Tal, nahe Windischgarsten. Ein traumhafter Flecken auf siebenhundert Metern. Das ist die richtige Höhe. Man hockt weder in der Grube noch stößt man sich am Himmel. Ein Ort mit Kirche und ein paar Gasthöfen. Nichts, was stören würde, keine Tropfsteinhöhle, kein Eiskanal, kein fulminanter Altar.«
    »Das ist gut so«, sagte Reisiger, der bei aller Religiosität fulminante Altäre nicht dem lieben Gott, sondern der verhaßten Kunstgeschichte zuordnete.
    »Es wird Ihnen gefallen«, sagte Pliska. »Das Gebäude und der Blick. Berge rundherum. Berge von der sanften wie von der grandiosen Art. Dazu auch gute Straßen. Die Menschen selbst fallen nicht ins Gewicht. Sie haben ihre Roheit kultiviert wie ihre Wälder.«
    »Das ist ja wohl ein billiges Vorurteil«, erklärte Reisiger. Nicht, daß ihm irgendeine Landbevölkerung wirklich ans Herz ging.
    Pliska zuckte bloß leicht mit der Schulter, öffnete die Türe und trat sodann mit seinem Hund nach draußen. Von hinten machten die beiden den Eindruck eines ungleichen und dennoch vollkommen harmonischen Paars. Als sei Pliska der Bewahrer eines vierten Hundebeins.
    Nur wenig später nahm Reisiger hinter seinem staubfreien, sichelartigen, nach einer Seite hin in eine sinnlose, noch dazu gefährliche Spitze mündenden Tisch Platz, schaltete den Computer an und versuchte, sich per Internet über ein im Garstner Tal gelegenes Purbach kundig zu machen. Allein es gelang nicht. Zwar stieß er auf eine Ortschaft selbigen Namens, mußte jedoch an der Beifügung »am Neusiedler See« erkennen, daß dieses Purbach unmöglich in Frage kam. Ein anderes aber bot sich nicht an. Kein Purbach mehr im Lande. Weshalb Reisiger eine Alternative versuchte. Eingedenk der ursprünglichen Schreibweise des zumindest für das lunare Purbach namensstiftenden Georg von Peuerbach gelang es ihm, ein Peuerbach im Hausruckviertel aufzustöbern. Nun lag das Hausruckviertel zwar im Oberösterreichischen, wie dies auch für das Garstner Tal zutraf, doch sehr viel weiter im Norden und Westen. Ja, das Hausrucksche Peuerbach besaß seine Koordinate nördlicher noch als Linz, auf halbem Weg nach Passau, während umgekehrt das Garstner Tal schwanzartig in jenen Gebirgspaß überging, der hinüber in das Steirische wies, in etwa wie man mit dem Finger auf eine ziemlich ordinäre Person deutet und trompetet: »Bleib mir vom Leib, Krätze!«
    So akribisch Reisiger auch die Karten des Garstner Tals, dieser ganzen sogenannten Pyhrn-Priel-Region, durchforschte, ein Purbach oder Peuerbach war nicht zu entdecken. Auch kein Berg trug diesen Namen, kein See und keiner der Wanderwege. Eine ernste Verzweiflung stellte sich ein, wich aber bald dem Gefühl einer märchenhaften Verzwicktheit. Reisiger überlegte, daß für diesen Ort vielleicht dieselbe zwangsläufige Unauffindbarkeit galt, die Erich Kästner in seiner Geschichte vom doppelten Lottchen behauptet, wenn er meint, daß jenes schauplatzgebende Gebirgsdorf Seebühl am Bühlsee »ausgerechnet nur jene Leute kennen, die man nicht fragt«. In dieser Hinsicht gehörte Purbach im Garstner Tal möglicherweise zu einer Anzahl von Ortschaften, die nur auf Karten zu finden waren, die man nicht studierte.
    Reisiger gab sich also geschlagen, beschloß fürs nächste, keine Karte mehr aufschlagen zu wollen, um

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