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Der Umfang der Hoelle

Der Umfang der Hoelle

Titel: Der Umfang der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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strahlten anders. Sie besaßen – nach Reisigers unklarem Gefühl – eine phosphoreszierende Aufdringlichkeit. Ein im Grunde unnötiges Leuchten. Auch eine Verdoppelung. Alles wirkte doppelt, der Himmel, die Natur, die Menschen. Selbst noch das gesprochene Wort, sodaß also das so folkloristisch verbrämte Echo in den Bergen tatsächlich den vollkommensten Ausdruck zumindest der ländlichen Bevölkerung darstellte.
    Dazu kam, daß sich Reisiger ungern vorstellte, von einem flakonäugigen Mann wie Tom Pliska chauffiert zu werden, da mochte es sich um einen noch so zauberischen alten Citroën handeln. Nicht, daß es Reisiger störte, wenn jemand Pillen schluckte, um sich aufrecht zu halten. Das ging in Ordnung. Nur wollte er nicht daneben sitzen, wenn die Straßen enger und kurviger wurden, der Straßenrand als ein magerer Rest von Kultur fungierte und das Uneinsehbare und Überraschende sich zum eigentlichen Kriterium des Verkehrs entwickelte.
    »Nett von Ihnen, sich die Mühe gemacht zu haben«, begann Reisiger seine Verabschiedung. »Sagen Sie Herrn Bobeck, es täte mir leid, aber ich hätte – um ganz ehrlich zu sein – überhaupt keine Lust auf Österreich und aufs Fliegen und Autofahren und auf noch so gute und herzliche Gespräche. Sagen Sie ihm bitte auch, es gebe rein gar nichts, was ich ihm berichten könnte, was er nicht schon wüßte. Also, Herr Pliska, nehmen Sie gütigerweise Ihr Kuvert und Ihren Hund, begeistern Sie noch ein wenig meine Sekretärin, wenn Sie wollen, und haben Sie einen schönen Tag.«
    »Ihre Entscheidung«, sagte Pliska im Ton der Überlegenheit und erhob sich mit einer Bewegung, die nun überhaupt nicht mehr delirant anmutete, vielmehr flüssig und erhaben. Wobei jetzt wieder seine damenhafte Langbeinigkeit zum Tragen kam, was nur ein klein wenig schwul wirkte, primär aber elegant, ja ziemlich sexy. Man konnte sich ganz gut vorstellen, daß Pliska bei aller Kälte seiner Augen, bei aller Schwammigkeit und dem Kreuz und Quer seiner Barthaare, und auch wenn er alle paar Minuten irgendwelche Pulverchen schluckte, ziemlich gut bei Frauen ankam. Bei jeder Art von Frauen. Außer sie mochten keine dreibeinigen Hunde. Aber das war nun wiederum schwer vorstellbar.
    Es zeigte sich also, daß Pliska auch in bezug auf seine Bewegungen, Haltungen und Posen zwischen den Extremen wechselte. Mal formvollendet, mal wackelig. In seinem Fall schien alles auf eine Frage hin- und herschwappender Körpersäfte hinauszulaufen.
    Pliska verzichtete darauf, Reisiger die Hand zu reichen. So wie er darauf verzichtete, das Kuvert an sich zu nehmen. Er ging zur Tür, wobei er im Vorbeigehen ein weiteres Mal dem Bild an der Wand zunickte. Die Hand bereits an der Klinke, signalisierte er mit einer fast unmerklichen Geste seinem Hund, der ja noch immer neben dem roten Sessel saß, sich ebenfalls zu erheben. Die Geringfügigkeit der Geste war kaum zu überbieten. Der Hund jedoch reagierte wie auf einen Startschuß.
    »Schade«, sagte Pliska. »Purbach hätte Ihnen gefallen. Davon bin ich überzeugt.«
    »Purbach?«
    »Ja. Der Name der Ortschaft. Dort, wo das Schloß liegt. Bobecks Schloß.«
    Purbach, das stellte für Reisiger einen durchaus vertrauten Ortsnamen dar, allerdings nicht in einem österreichischen Sinn, sondern in einem lunaren. Denn Purbach, das war ja auch – und für Reisiger ausschließlich – eine Wallebene auf dem Mond, gelegen in einem kraterreichen Gebiet, das den Namen Arzachel trug und sich entlang des Nullmeridians zum Süden hin ausdehnte. Das lunare Purbach war nach dem Österreicher Georg von Peuerbach benannt worden, einem Astronomen des Mittelalters, dessen deutschem Schüler Regiomontanus man die südlich an Purbach anschließende, jedoch nicht ganz so makellose Wallebene gewidmet hatte. Das war die Geographie, in der Reisiger zu Hause war, mehr als in jeder anderen.
    Daß nun ein Ort auf Mutter Erde ebenfalls Purbach hieß, durfte natürlich nicht verwundern. Und dennoch hatte etwas wie ein feiner, ja angenehmer Schrecken Reisiger in diesem Moment ereilt. Eine Spannung baute sich auf, die aus der Vorstellung erwuchs, dieses österreichische Purbach könnte mit dem lunaren etwas gemein haben. Eben mehr als nur den Namen. Hinter dieser Idee – die ja keinen konkreten Grund besaß – stand wohl Reisigers unmöglicher Wunsch, einmal den Mond zu betreten. Zum Beispiel Purbach.
    »Ich habe es mir überlegt«, sagte Reisiger, ohne sich eigentlich unter Kontrolle zu haben, wie das

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