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Der Umfang der Hoelle

Der Umfang der Hoelle

Titel: Der Umfang der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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küssen.«
    »Daran kann ich nichts Schlechtes erkennen«, sagte der Katholik Reisiger.
    »Ich bitte Sie, das ist lächerlich, einen Ring küssen, einen dummen Preis annehmen, welchen doch – schauen Sie mal genau hin! – eine Menge dummer Leute erhalten haben. Nein, Siem Bobeck steht über solchen Dingen. Es wäre ihm zuwider, seine Forschung in den Dienst einer Nobelpreisbesteigung zu stellen.«
    »Nicht jeder Nobelpreis ist ein anvisierter Gipfel.«
    »Sie täuschen sich«, meinte Pliska und zwinkerte seinem Hund wie einem ungleich intelligenteren Wesen zu. »Die Leute betteln danach. Erst wenn sie den Preis haben, wenn sie mit beiden Beinen in diesem Preis drin stehen, wie man eigentlich im Blut seiner Feinde steht, dann erst tun sie so, als hätte man sie schlagen müssen, diesen Preis auch anzunehmen.«
    »Macht denn eigentlich die Molekularbiologie einen Menschen reich?« fragte Reisiger.
    »Sie macht einen zumindest nicht arm. Aber das ist es nicht. Bobecks Vermögen stammt aus anderer Quelle. Das ist jetzt gut drei Jahrzehnte her, daß er mit einer kleinen Erbschaft ein marodes Modehaus erstanden hat, um es zu einem außergewöhnlich gutgehenden Unternehmen zu führen. Ohne dabei seinen Namen groß herausgestellt zu haben.«
    »Hat er sich geniert?«
    Pliska aber schüttelte den Kopf und meinte: »Unwahrscheinlich, daß irgendeine Scham im Spiel war. Eher Vernunft. Vor einigen Jahren hat Bobeck das ganze Unternehmen verkauft. Ohne Tränen zu vergießen und mit enormem Profit. Nicht anders als ein Gemälde, das man als kleine, verdreckte Leinwand samt einem bißchen Öl drauf erwirbt und als ein ausgewiesenes Meisterwerk wieder veräußert.«
    »Ein geschäftstüchtiger Biologe also. Soll sein.«
    »Ich würde eher sagen: ein Genie, das auch wirtschaften kann.«
    »Sie scheinen Ihren Chef zu lieben.«
    »Ich hasse ihn«, gestand Pliska. »Er behandelt mich wie eine Laus. Aber er bezahlt mich viel zu gut, als daß ich daran denken könnte, den Job zu wechseln. Bobeck läßt mich einen zauberhaften alten Citroën fahren, schickt mich in der Weltgeschichte herum, erlaubt mir, Anfragen des Kanzlers und des Bundespräsidenten und dieser schwedischen Affen aufs Unhöflichste zu beantworten, und zahlt meine horrenden Telefonrechnungen. Und was sonst noch Horrendes zu zahlen ist. Dafür muß ich mir halt anhören, was für ein widerlicher, kranker Mensch ich bin.«
    »Hört sich ungemütlich an«, sagte Reisiger. »Ich glaube nicht, daß ich Lust habe, mein Wochenende mit einem muffigen Genie zu verbringen.«
    »Da haben Sie mich aber falsch verstanden«, sagte Pliska und schien nun ehrlich besorgt. »Bobeck behandelt seine Gäste mit der größten Fürsorge. Und sucht sie sich aus, als pflücke er Blumen.«
    »Ich glaube nicht, daß Herr Bobeck etwas Florales an mir entdecken wird.«
    »Nun, ich kann Sie nicht zwingen.«
    »Das klang anfangs aber anders.«
    »Ein Mißverständnis«, erklärte Pliska, griff in die Innentasche seines Jacketts und zog ein längliches, weißes Kuvert hervor, das er mit einer umständlichen, deliranten Bewegung auf dem niedrigen, jedoch wuchtigen Tisch ablegte. Die Hülle lag nun auf der tiefschwarzen Oberfläche wie eine vom Himmel geschossene Pforte. Reisiger machte keine Umstände, danach zu greifen.
    »Ein Flugticket nach Linz«, erklärte Pliska. »Samstag vormittag. Ich würde Sie von Linz abholen.«
    »Linz?« fragte Reisiger, wie man fragt: Fieber?
    »Ja. Bobeck lebt in Österreich. Ich hoffe, das ist kein Problem für Sie.«
    »Es ist …« Reisiger konnte nicht recht sagen, was er von diesen Leuten hielt, die nach Österreich gingen, wohl in der merkwürdigen Annahme, daß dort irgend etwas besser sei, die Luft ein wenig luftiger und die Wiesen mehr nach echter, wirklicher Wiese rochen, der Zufall des Lebens noch eine Spur zufälliger vonstatten ging, die Menschen vergnügter waren als etwa in Hamburg … Aber war das eine Kunst? Vergnügter als die Hamburger sein? War das ein Grund, sich in diesem Land niederzulassen, das von der Geschichte zurechtgestutzt worden war und aus diesem Zustand des Gestutztseins das Recht auf idyllische Kleinstaatlichkeit bezog? Reisiger war sich diesbezüglich unsicher. Ihm selbst war Österreich auf seinen wenigen Besuchen fremd geblieben. Daß die Bäume und Straßen und Gesichter nicht viel anders aussahen als die Bäume und Straßen und Gesichter, die er von Kindheit an gewohnt war, führte keineswegs zu einer Vertraulichkeit. Die Dinge

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