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Der Umfang der Hoelle

Der Umfang der Hoelle

Titel: Der Umfang der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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kommt der Mann überhaupt am Empfang vorbei?«
    »Er hat einen Hund bei sich«, erklärte die Sekretärin.
    »Meine Güte, was soll das jetzt wieder heißen?«
    »Herr Reisiger, Sie brauchen nicht laut zu werden«, sagte die Sekretärin leise, wobei sie aber einen geradezu schreienden Blick hinüber zu den beiden Kolleginnen warf, die hinter ihren hellblauen, geschwungenen Tischen aussahen wie Badende, die bis zum Nabel im Wasser standen.
    »Seit wann werden hier Leute vorgelassen«, wunderte sich Reisiger, »bloß weil sie einen Hund an der Leine führen?«
    »Einen dreibeinigen Hund«, erläuterte die Sekretärin und machte ein Gesicht, als sei damit eigentlich alles gesagt. Alles erklärt.
    Reisiger schnaubte verächtlich, legte seinen Kopf zur Seite und betrachtete die Sekretärin einen kurzen Moment, wie man eine leichte, aber hartnäckige Krankheit betrachtet. Bläschen auf der Zunge. Eine entzündete Nasenscheidewand. Er hatte diese Frau noch nie ausstehen können. Sie war bereits unter seinem Vorgänger und dessen Vorgänger hier gesessen und schlichtweg unkündbar. Wofür sie nicht einmal ihr Haus hätte opfern müssen oder ihren Mann oder ihren Liebhaber. Bei dem es sich übrigens um Dr. Moll, den Gründer und Mitbesitzer der Firma handelte. Wurde zumindest behauptet. Ihre Unkündbarkeit jedenfalls, ihre wurzelartige Verbundenheit, hatte weniger mit Moll zu tun als mit dem Umstand, daß diese Frau die Funktion einer tragenden Wand besaß.
    Ohne ein weiteres Wort gegen diese tragende Wand zu richten, trat Reisiger in sein Büro und schloß hinter sich die Türe. Dann fragte er: »Herr Pliska?«
    »Ja!?« Der Mann stand vor dem einzigen Bild im Raum, einer kleinen abstrakten Malerei in Schwarz und Weiß, auf der zwei senkrechte, dunkle, an den Enden ausgefranste Balken sich Seite an Seite von einem schmierigen, grauweißen Hintergrund abhoben.
    »Sieht aus wie ein Franz Kline«, meinte der Unbekannte.
    An Stelle einer Antwort sagte Reisiger: »Sie sind doch hoffentlich nicht hier, um sich mit mir über Malerei zu unterhalten.«
    »Selbstverständlich nein«, versicherte der Mann und wandte sich mit der Winzigkeit einer Verbeugung von dem Gemälde ab, wie man das vielleicht im Falle eines Andachtsbildes noch hätte begreifen können.
    Reisiger bemerkte diese Verbeugung oder dieses bloße Nicken vor dem Bild. Er ahnte Schlimmes. Und er ahnte es zu Recht.
    »Tom Pliska«, nannte der Mann seinen vollständigen Namen und zeigte mit einer Geste an, daß es sich im Sitzen weit besser reden ließe.
    Reisiger, als Gastgeber im Hintertreffen, schien jetzt überhaupt erst zu sich zu kommen und lud Pliska endlich ein, auf einem der beiden, mit hellrotem Stoff bespannten, schalenförmigen Stühle Platz zu nehmen, die wie zwei ausgehöhlte Herzen einem niedrigen, quadratischen und kohlschwarzen Tisch zur Seite standen. Der Tisch ruhte auf seinem eigenen Schatten wie auf einem fetten Polster.
    Pliska ließ sich in einer sehr häuslichen Weise auf dem Sessel nieder und schlug die Beine übereinander, als brächte er eine riesenhafte Schere zum Einsatz. In der neuen Stellung wirkten seine Beine noch länger, als sie ohnehin waren. Damenhaft lange Beine, die in derart saubere und glatte schwarze Lederschuhe mündeten, als sei Pliska damit noch keine zehn Meter gegangen. Über dieselbe Akkuratesse verfügte auch der dunkelblaue Nadelstreifenanzug, während hingegen das weiße Rüschenhemd einen leicht verdreckten und verdrückten Eindruck machte.
    Diese Mischung war typisch für Pliska, der in der Art eines Popstars zwischen dem Gepflegten und dem Verlotterten changierte. Sein schulterlanges, leicht gekräuseltes, schwarzes Haar, in dem ein Schuß Violett einsaß, sah aus wie frisch aus der Trockenhaube, aber in seinem Gesicht sprossen Bartstoppeln, die weniger schick und leger anmuteten, als daß sie in ihrer narbenhaften Unregelmäßigkeit für ein schweres Schicksal zu stehen schienen. Als hätte der gute Pliska ein gewisses übermächtiges Alkoholproblem.
    Er mochte um die Dreißig sein und besaß ein Gesicht, welches man eigentlich als das eines nicht bloß schönen, sondern übertrieben schönen Menschen bezeichnen mußte. Die Übertriebenheit ergab sich nicht zuletzt aus den Brüchen, wie eben jenem ungeordneten Bartwuchs, aber auch der leichten Aufgeschwemmtheit, als sei Pliska in seinem Leben zu oft beatmet worden, als sei er bereits viel zu oft Objekt Erster Hilfen gewesen. Am abstoßendsten aber – zumindest

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