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Der Umfang der Hoelle

Der Umfang der Hoelle

Titel: Der Umfang der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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geht es doch gar nicht«, beschwerte sich Reisiger.
    »Worum dann?«
    »Um offen zu sein: Ich frage mich, was Sie im Schilde führen. Das mit dem Essen hier geht in Ordnung. Aber es widerstrebt mir zu glauben, daß Sie keine nettere Begleitung für ein münchenfreies Wochenende finden.«
    »Fishing for compliments?«
    »Davon kann keine Rede sein. Ich möchte mich bloß auskennen. Ich neige derzeit dazu, in die eine oder andere kleine Falle zu tappen.« Dabei warf Reisiger einen vielsagenden Blick auf den Verband, der unter seinem Sakkoärmel hervorlugte.
    »Sehe ich aus wie eine Falle?« fragte Kim Turinsky.
    »Das kann man wohl sagen.«
    »Ich könnte aber genauso gut Ihr Schutzengel sein. Schon mal daran gedacht?«
    »Ich glaube an Schutzengel«, erklärte Reisiger. »Ich glaube aber nicht, daß man ihnen leibhaftig begegnet. Als wäre die Wirklichkeit Hollywood.«
    »Das ist schade. Mir wäre lieber, Sie würden mich für einen Engel halten als für eine Falle. Aber das kommt noch. Und es kommt um so eher, wenn Sie mein Angebot annehmen. Eine Nachtfahrt nach Linz.«
    »Überlegen Sie einmal«, forderte Reisiger. »Für mich wurde im besten Hotel dieser Stadt ein Zimmer reserviert. Reserviert und bezahlt. Ich kann mich also schlafen legen, morgens ein Bad nehmen und bekomme einen Kaffee serviert, der nicht nach gekochtem Altpapier schmeckt. Danach lasse ich mich im Taxi zum Flughafen bringen, um eine Landesgrenze auf die allerkomfortabelste Weise zu überwinden. Warum sollte ich darauf verzichten? Und noch was! Wann würde dieser Nachtzug Linz erreichen?«
    »Ich denke, etwa vier Uhr in der Früh.«
    »Gottbewahre!« stöhnte Reisiger.
    »Vier Uhr ist eine wunderbare Zeit«, flötete Turinsky. »Die beste Zeit, um auf den Tag zu warten. Es ist dann wirklich Nacht, nicht einfach nur Abend oder dunkel. Die letzten gehen zu Bett, und die ersten haben noch einen Rest von Schlaf vor sich. Man ist dann also so gut wie allein auf der Welt. Denn wer schläft und träumt, fällt ja aus der Welt heraus. Wie man aus einem Fenster und damit aus einem Zimmer fällt. Oder rücklings von einer Brücke.«
    »Und deshalb soll ich auf ein gutes, warmes, weiches Bett verzichten?«
    »Hören Sie doch bitte auf mit Ihrem Bett. Man könnte glauben, Sie hätten ein Schlafproblem.«
    Nun, der Schlaf war wirklich nicht die Domäne Reisigers. Was er übrigens in keiner Weise mit seiner somnabulen Konzentration in Zusammenhang brachte. Davon abgesehen drängte sich ihm der Gedanke auf, daß es in der Tat reizvoll wäre, den beinahe vollständigen Mond von einem dunklen Zugabteil aus zu betrachten. Auch gefiel ihm der Vergleich mit einer Braut, die sich verweigerte. Noch verweigerte.
    Gleichzeitig irritierte ihn, daß Turinsky überhaupt davon gesprochen hatte. Selbstverständlich konnte sie keine Ahnung von seiner speziellen Mondsucht besitzen. So wenig wie Tom Pliska, als er den Namen Purbach erwähnt hatte. Aber merkwürdig war es schon, wie sehr das Mond-Argument ins Spiel gebracht wurde. Reisiger fühlte sich gefangen. Gefangen in seiner Leidenschaft. Aber ein Gefängnis steht, wo es steht.
    Reisiger sagte: »Also gut.«
    »Soll das heißen, wir nehmen den Zug nach Linz?«
    »Verrückt, so was zu tun. Aber es braucht mir derzeit auf die eine oder andere zusätzliche Idiotie nicht anzukommen«, erklärte Reisiger und betrachtete ein wenig ungläubig die Winzigkeit eines violettfarbenen Sorbets, das soeben serviert worden war und in Gestalt eines Reaktorturms von der Mitte eines goldrandigen Glastellers aufragte.
    Gegen zehn Uhr bezahlte Reisiger eine Rechnung, die ungeeignet war, die Geduld eines Portemonnaies zu strapazieren, weshalb er seine Kreditkarte vorlegte. Danach gingen er und Kim Turinsky hinüber zum Bahnhof, einem Gebäude von der Schönheit eines Rasenmähers, wo Turinsky zwei Karten zweiter Klasse erstand. Eine Reservierung schien nicht vonnöten. Man würde mit einiger Sicherheit einen ziemlich leeren Zug vorfinden.
    Die nächsten zwei Stunden verbrachte das ungleiche Paar in einem Bistro, die meiste Zeit schweigend, den Blick auf einen Monitor gerichtet, der die Laufstege großer Modehäuser zeigte. Es war wie immer. Die Models blickten böse drein, sehr böse, als bestehe die Funktion der Mode darin, ein feindliches Leben zu durchlaufen, über Giftschlangen zu steigen, Kindergärtnerinnen zu ertragen und misanthropischen Luftgeistern auszuweichen. Reisiger tat sich schwer mit der Vorstellung, daß der

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