Der Umfang der Hoelle
aber mußte gestehen, daß ihm Frau Rubins Prosa unbekannt sei. Freilich sei ihm die meiste Prosa unbekannt. Er wäre kein großer Leser.
»Vernünftige Einstellung«, meinte Bobeck, um sich sogleich bei Turinsky zu entschuldigen. Nichts gegen Romane, aber er persönlich könne mit erfundenen Geschichten kaum etwas anfangen. Am wenigsten mit denen seiner Frau. Diese ganzen Figuren würden ihm vollkommen unrealistisch erscheinen. Vielleicht, weil sie soviel reden und sowenig handeln. Davon abgesehen, was sie alles denken, während sie da reden.
»Das soll unrealistisch sein?« wunderte sich Turinsky.
»Natürlich. Der wirkliche Mensch nimmt die Dinge in die Hand. Kommt ein Fisch auf den Tisch – wie jetzt eben –, beginnt der wirkliche Mensch ja nicht, sich über das Leben der Fische Gedanken zu machen oder gar über das spezielle Leben des Fisches auf seinem Teller, sondern maximal darüber, ob der Fisch auch frisch ist und daß sich hoffentlich nicht zu viele Gräten in ihm befinden.
In den Romanen meiner Frau aber fühlen sich die meisten Personen bemüßigt, wird ihnen etwa eine Forelle serviert, über Forellen nachzudenken und wie schrecklich es ist, sie aus dem Wasser zu ziehen, um sie gleich Puppen auf Tellern zu drapieren. Und dann fangen diese Leute natürlich an, darüber auch noch zu reden, halten andere vom Essen ab. Alle werden dabei traurig, alle haben ein schlechtes Gewissen, einige wehren sich, kommen freilich auch nicht zum Essen, erscheinen zudem unsympathisch. Versteht sich, daß der Fisch kalt wird. Was meine Frau allerdings unerwähnt läßt. Wie sie auch die Traurigkeit des Kochs ignoriert, der dann vor einem Haufen unangetasteter oder bloß halb verzehrter Fischkörper steht.
Das soll aber in unserem Fall nicht so sein. Mein Koch ist ein Mensch, der leicht beleidigt ist wie alle Handwerker. Aber ein guter Koch, den man bei Laune halten sollte. Ich wünsche also einen guten Appetit.«
Nun, der Fisch war tatsächlich äußerst schmackhaft. Geredet wurde dennoch. Turinsky verteidigte Claire Rubins Bücher, kam dann aber irgendwie auf ihre Autobahnbrücken zu sprechen. Ein Umstand, der Bobeck gefiel. Er gestand, befürchtet zu haben, Turinsky sei in einer schöngeistigen Tätigkeit zu Hause.
»Machen Ihnen solche Frauen Angst?« fragte Turinsky.
»Jeder Mensch, der mit Schöngeistigem zu tun hat.«
»Sie fürchten also Ihre Frau?«
»Ich fürchte den Moment, da sie mir wieder ein Manuskript auf den Tisch legt und meine Meinung dazu einfordert. Warum sie das tut, weiß ich nicht so recht. Sie ist umgeben von Lektoren und Verlegern und Kritikern, die alle rührend um sie bemüht sind. Das sollte doch wohl reichen.«
»Vielleicht verlangt es sie nach einer ehrlichen Meinung.«
»Von mir kriegt sie nur mein Vorurteil zu hören, meine Aversion gegen erfundene Geschichten über erfundene Menschen, die alle auf einer norwegischen Insel hocken und immer dünner und schwächlicher werden, weil sie nichts Ordentliches essen.«
»Wofür halten Sie eigentlich die Mode?« fragte Turinsky und ergänzte: »Schöngeistig oder nicht?«
»Ach ja, Sie wissen natürlich von meinem ehemaligen Brotberuf. Aber ich glaube nicht wirklich, daß die Mode den schönen Geist in sich trägt. Auch wenn kreative Köpfe dahinter stecken. Aber was tun die schon? Schnipseln an einem Hemd vom letzten Jahr herum, tippen blind auf Farbskalen, geben vor, eine Brillanz zu entwickeln, indem sie abschneiden, was sie gerade erst dazugenäht haben.
Ich vereinfache, selbstverständlich. Aber ich weiß auch, wovon ich spreche. Ich hatte mit einer Menge von Modeschöpfern zu tun, auch den ganz großen. Ich schwöre Ihnen, kein einziges Genie war darunter. Diese Leute machen sich mit nicht geringer Mühe einen Namen, um dann selbstherrlich bestimmen zu dürfen, ob ein quadratischer Hemdknopf einem runden vorzuziehen ist. Wobei so gut wie nie eine logische oder auch nur ästhetische Notwendigkeit existiert, gleich, was behauptet wird. Die Frage des Knopfes ist eine pure Machtfrage. Nicht, daß ich das schlecht finde. Manche Dinge im Leben lassen sich nicht anders entscheiden.«
Turinsky nickte und sagte: »Ungefähr so, wie Ihre Frau entscheidet, ob eine von ihren Romanfiguren lila Socken trägt oder nicht.«
»Nicht ganz«, erwiderte Bobeck. »Auch wenn die Romanfigur erfunden ist, auch wenn sie ununterbrochen redet anstatt zu handeln, sollte sie dennoch soweit glaubwürdig sein, daß zumindest die lila Socken zum Rest der
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