Der Umfang der Hoelle
gewissermaßen der des Citroëns, welcher draußen vor dem Haus stand, von einem Hund namens Vier bewacht.
Sie trug einen graugrünen, engen Hosenanzug, kam ohne Bluse oder Shirt aus, ohne jeden Schmuck, und hatte ihr gelbblondes Haar in der Art der Marilyn Monroe gestaltet, flockig, von einer Art intelligentem Wind angefertigt. Von ihrer Wirkung her hätte man sie aber mit … nein, sie war natürlich berühmt genug, einfach mit sich selbst verglichen zu werden. Sie war die Rubin. Eher war es so, daß, wenn irgendwelche Mittvierzigerinnen einen gleichzeitig robusten und aparten Eindruck vermittelten und eben nicht verhungert und dünnlippig und depressiv aussahen, man sagen konnte, sie würden ein wenig an die Rubin erinnern.
Übrigens war es jetzt das erste Mal, daß Reisiger die Ähnlichkeit der Namen Rubin und Rubens auffiel. Ausnahmsweise war er aber so vernünftig, seiner Gastgeberin daraus keinen Vorwurf machen zu wollen. Natürlich bemerkte er auch sofort die Naht, die sich über Rubins rechte Braue zog und an jenen frostigen, unerfreulichen Tag gemahnte. Aber die Naht stand ihr ausgezeichnet, hatte etwas von einem Schönheitsfleck.
»Nehmen Sie doch bitte Platz«, sagte Claire Rubin und wies auf die Gruppe von Ledersesseln, die um einen Kamin standen, der dieselbe obeliskartige Monumentalität besaß wie jener aus Reisigers Hotelsuite. Allerdings brannte in diesem hier ein Feuer, ein bescheidenes Feuer, dessen Funktion wohl weniger in der Zufuhr von Wärme bestand als im hübschen Klang sich auflösender Scheite.
Man setzte sich also und wartete ab, bis ein jeder seine Tasse in der Hand hielt und das Personal verschwunden war. Siem Bobeck wirkte in Gegenwart seiner Frau lange nicht so herrschaftlich und dominant wie noch kurz zuvor. Er machte einen nachdenklichen Eindruck, rührte bedächtig in seinem Kaffee, wie um eine kleine Überraschung nach oben treiben zu lassen. Eine Überraschung gab es dann auch.
Claire Rubin saß nun da, als halte sie eine Audienz ab. Eine Päpstin unserer Tage. Sie hatte die langen Beine übereinandergeschlagen, stellte ihre Tasse ab und zündete sich sodann eine Zigarette an. Sie sagte: »Es ist herrlich, nicht mehr singen zu müssen. Wenn es mir Spaß macht, kann ich rauchen, bis ich klinge wie ein Schankwirt. Früher war das unmöglich. Ich hatte meine Stimme versichert. Eine von den wahnsinnigen Ideen meines Agenten. Wahrscheinlich hat er vorgehabt, mir eines Tages die Kehle durchzuschneiden und dann auch noch einen Haufen Geld damit zu verdienen. Im Vertrag war ein Passus, der mir den Genuß von Nikotin untersagte. Hätte ich meine Stimme verloren, dann hätten diese Erbsenzähler von der Versicherung natürlich sofort versucht, mir das Rauchen nachzuweisen. Verrückt, wenn man das im nachhinein betrachtet.«
»Ein schlechter Agent«, kommentierte Reisiger.
»Mein Gott, wie recht Sie haben. Seither hasse ich Agenten und Versicherungen. Ich würde Versicherungsmakler zum Frühstück verspeisen, wenn das erlaubt wäre. Na gut, Hauptsache, ich bin meinen alten Beruf los.«
»Was vielen Leuten sehr leid tut«, säuselte Turinsky.
»Nett, daß Sie das sagen. Aber glauben Sie mir, diese Singerei ist das dümmste, was ein Mensch tun kann. Vor allem vor Publikum. Vor allem, weil man sich irgendwie bewegen muß. Ich hatte Blasen an den Füßen von diesem Gezappel. Unmöglich. Wie ist das mit Ihnen, Frau Turinsky, lieben Sie Ihren Beruf?«
»Er macht Spaß.«
»Spaß? Macht es wirklich Spaß, den Leuten hinterherzuschnüffeln?«
»Wie bitte?« Turinsky richtete sich unwillkürlich auf, blickte entgeistert in die Runde. Sodann bemerkte sie, ein wenig kleinlaut allerdings, im Brückenbau beschäftigt zu sein. Und das habe ja wohl mit irgendeiner Schnüffelei nichts zu tun.
»Ja, ja«, lächelte Claire Rubin. Sie lächelte, als zerquetsche sie einen Versicherungsangestellten zwischen ihren Zähnen. »Tom hat mir bereits berichtet, Sie würden sich als Brückenbauerin ausgeben. Eigentlich originell. Aber ich habe nun wirklich keine Lust, Ihnen dieses Theater abzunehmen. Sagen Sie mir, für wen Sie arbeiten. Und dann seien Sie so gut und verlassen mein Haus.«
»Ich weiß wirklich nicht«, sagte Turinsky, »wie Sie auf diese absurde Idee kommen. Das ist sehr enttäuschend, zu sehen, wie eine ehemals große Künstlerin sich nicht nur aufs Land, sondern auch in die Paranoia zurückgezogen hat.«
»Also bitte!« fuhr Reisiger dazwischen. »Ich verstehe nicht, was das bedeuten
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