Der Umfang der Hoelle
alles andere als ein egalitärer Eindruck ergab. Ein breiter, betonierter Weg führte hinauf zum Hauptgebäude, einem zweistöckigen, schönbrunnergelben Komplex, den sich ein Habsburger Ende des achtzehnten Jahrhunderts hatte errichten lassen. Der Habsburger – Fürst, Diplomat, begeisterter Dilettant in der Astronomie, Freund Mozarts, Mesmers und des deutsch-englischen Uranusentdeckers Sir William Herschl, allerdings auch Freund einiger zwielichtiger, namenloser Gestalten – hatte sich diese Art Feriendomizil zugelegt, um gleichermaßen den Freuden der Lust wie den Freuden der Sternbeobachtung zu huldigen.
Nicht wenige der heute lebenden Purbacher meinten, daß in ihren Genen ein wenig vom Geist dieses adeligen Hedonisten mitschwang. Welcher übrigens als Diplomat schrecklich versagte, zwanghaft zur Offenheit neigte, in einigen Ländern zur unerwünschten Person erklärt wurde und schlußendlich in das gezückte Messer eines befreundeten Zuhälters lief.
In Purbach aber wurde sein Name hochgehalten, seine Büste schmückte die Halle des »Gewächshauses«, ein Wanderweg war nach ihm benannt worden, auch eine Schwimmhalle, und sein erdolchter Leib war nach einigem Hin und Her in die Purbachsche Dorfkirche gelangt, um unter der statuarischen Darstellung der eigenen Person die ewige Ruhe zu finden. Selbiger Sarkophag stellte eine bemerkenswerte Leistung der Bildhauerkunst seiner Zeit dar, zeigte einen aufrecht dastehenden, lächelnden, das Kinn nach vorn gereckten Mann, der sich dem Tod zwar nicht widersetzt, doch recht selbstbewußt und sozusagen mit beiden Beinen in diesem Tod steht. Keineswegs gotteslästerlich, eher wie jemand, der sich mit Gott auf du und du befindet. Ein Meisterwerk auch in der feinen Ausarbeitung. Aber so wie Purbach in Abwandlung der Kästnerschen Definition ein Ort zu sein schien, der immer nur auf Landkarten zu finden war, die man nicht zur Hand hatte, wurde dieser kunsthistorisch durchaus relevante Sarkophag immer nur in Publikationen behandelt, in denen man gerade nicht nachblätterte.
Wie gesagt, die Purbacher hielten zu ihrem Habsburger, weshalb sie wenig erfreut gewesen waren, als vor acht Jahren ein Deutscher dahergekommen war, eben jener Siem Bobeck, um das halbverfallene Anwesen zu übernehmen. Doch Bobeck hatte es bald geschafft, die Leute von sich zu überzeugen. Nicht bloß, weil er so vernünftig gewesen war, für die Renovierung ausschließlich Betriebe aus dem Ort und der Umgebung zu engagieren, sondern sich auch als großzügiger Gönner bei der Restaurierung der Kirche erwiesen hatte. Zudem galt er bald – gerade wegen der Distanz, die er zu den Einheimischen hielt – als beliebt und umgänglich. Denn genau diese gewisse Distanzlosigkeit war es ja, was die Purbacher, wie die meisten anderen Österreicher auch, an den Deutschen nicht ausstehen konnten: ihr Hang, eben nicht nur irgendwelche Ferienhäuser und Villen und Seegrundstücke zu erwerben, sondern sich auch gleich die ganze Kultur aneignen zu wollen. Dieser Verbrüderungswahn der Deutschen, dieses bizarre Interesse an der Folklore, diese schon hysterisch zu nennende Österreichbegeisterung, so wie man sich für Stofftiere und altes Porzellan und aufgespießte Schmetterlinge begeistert, das alles stieß die Österreicher zutiefst ab. Auch wenn sie vielerorts taten, als wäre das Gegenteil der Fall. Nicht so in Purbach, wo sich der Tourismus in Grenzen hielt und man stolz war, von Dingen zu leben, die man als ehrliche Arbeit empfand.
Daß Bobeck seinen Reichtum der Modeindustrie verdankte, war den Purbachern unbekannt. Sie hielten ihn für jemanden, der eben immer schon reich gewesen war. Auch seine Rolle als Molekularbiologe war kein Thema. Allein der Umstand praktizierter Verhaltensforschung verunsicherte ein wenig. Man befürchtete, möglicherweise ein Objekt wissenschaftlicher Betrachtung abzugeben. Mit Verhaltensforschung wurde natürlich jener große Österreicher Konrad Lorenz assoziiert, von dem man meinte, er hätte mittels des Studiums von Graugänsen die Welt zu erklären versucht. Den Purbachern wäre es natürlich alles andere als recht gewesen, irgendwann entdecken zu müssen, für Siem Bobeck so eine Art Graugans darzustellen. Umso mehr schätzten sie sein reserviertes Verhalten, schätzten die Tatsache, daß er öffentliche Veranstaltungen mied, auf Ehrenbezeugungen verzichtete, die Stammtische – die ja wohl das Reagenzglas bei der Erforschung humanoider Graugänse hergeben – unbehelligt ließ,
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