Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Umfang der Hoelle

Der Umfang der Hoelle

Titel: Der Umfang der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
Vom Netzwerk:
man unterbrach die Gespräche, blickte hinüber zu Reisiger. Begeisterung kam auf. Frau Reisigers Name war hier durchaus bekannt, ihre Kommentare, ihre Kritiken.
    Ein Herr mit knorpeligem Gesicht, der sich als Filmproduzent auswies, nannte sich sogar einen »persönlichen Freund«, zeigte sich gleichwohl überrascht von der Existenz eines Ehemanns.
    Das war Reisiger nun erst recht peinlich. Freilich stieg er bedeutend in der Achtung dieser Leute, denen er als Verrückter erschienen sein mochte, welcher gemeint hatte, die Gunst der Stunde nützen zu müssen, einer berühmten Sängerin das Leben zu retten, um sich dann von ihr retten zu lassen. Aber man war nun mal in diesen Kreisen modern genug, einem recht unbedeutenden Mann – »Wie ist das, Sie verkaufen Plattenspieler?« – die Bedeutung seiner Frau positiv anzurechnen.
    Reisiger selbst wäre nie auf die Idee gekommen, daß die Erwähnung seiner Gattin einen derartigen Umschwung hätte nach sich ziehen können. Nur Bobeck schien wenig glücklich mit der Entwicklung, duldete aber für einige Zeit das Interesse an einer Frau, die einst Orson Welles an die Spitze ihrer Liste der am meisten überschätzten Regisseure aller Zeiten gesetzt hatte.
    Irgendwann beugte sich eine von den Hausangestellten zu Bobeck und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Oder sprach auch nur leise. Jedenfalls war kein Wort zu verstehen. Dabei wirkte die Angestellte in keiner Weise wie ein Domestik oder auch nur wie eine von diesen geschleckten, jungfräulich-verdorbenen Mädchen, wie Cateringfirmen sie in die Häuser ihrer Kunden zu entsenden pflegen. Vielmehr schien die junge Frau, wie auch die anderen, die hier bedienten oder bloß herumstanden, zur Familie zu gehören. Ein bißchen wie Jugendliche, die gezwungen sind, ihren Eltern und deren Freunden das Essen aufzutragen. Und dabei natürlich einen schlechtgelaunten Eindruck machen. Ja, diese Frauen praktizierten ein andauerndes Schmollen. Ein durchaus attraktives Schmollen. Nachlässig aber waren sie nicht. War ein Glas leer, so wurde es anstandslos nachgefüllt.
    Bobeck faßte Reisiger sacht am Arm und erklärte, daß seine Frau sich freuen würde, wenn er und seine Begleiterin in den Salon kommen würden, um gemeinsam den Kaffee einzunehmen.
    »Sehr gerne«, sagte Reisiger, der froh war, endlich dem Gespräch über jene grandiose Cineastin, die da seine Gattin war, entfliehen zu können.
    Die drei Personen erhoben sich. Bobeck hielt es nicht für angebracht, den Rest der Tischrunde zu informieren. Durch den hohen, offenen, bogenförmigen Haupteingang trat man nach drinnen, durchquerte eine weite marmorne Kuppelhalle,  passierte zwei kabinettartige Räume und erreichte schließlich jenen Salon, in dessen historischem, von einem Fresko überdachten Gemäuer moderne, schwere Ledermöbel, ein zentraler Billardtisch, ein kleiner, fürchterlich bunter Chagall und ein großer, fürchterlich meditativer Rothko versammelt waren.
    Immerhin kein Rubens, dachte Reisiger, wenngleich das Fresko über eine gewisse Rubenssche Üppigkeit verfügte. Aber ein Fresko war leicht zu ignorieren, man brauchte einfach nur seinen Kopf gerade zu halten.
    Kaum zu ignorieren war freilich die Frau, die in repräsentativer Weise auf einem blockförmigen, beigen Lederfauteuil saß und sich von einem der schmollenden Mädchen gerade eine Tasse reichen ließ, die sie aber sogleich auf der breiten Armlehne abstellte, sich erhob und mit einer festen Stimme erklärte, daß es ihr eine Freude sei.
    Man reichte sich die Hand. Reisiger stellte Turinsky vor und zeigte sich begeistert ob des Ambientes. Was allerdings eine Lüge war. Er fand diese Umgebung beklemmend. Und Chagall war nach Rubens ohnehin das schlimmste, was es für ihn in der Kunst gab.
    Frau Rubin jedoch sah er mit völlig neuen Augen. Damals, in ihrem Skianorak, war sie ihm recht durchschnittlich vorgekommen, jetzt aber registrierte er ihre imposante, alles andere als durchschnittliche Erscheinung. Auch hatte er sie – trotz wattierten Anoraks – sehr viel schlanker in Erinnerung. Tatsächlich aber war sie kräftig gebaut, ohne dabei an Eleganz einzubüßen.
    Sie war der Typ, der einen großen Busen, eine merkbare Hüfte, ein klein wenig Speck unter dem Kinn, ein volles Gesicht und breite Schultern besaß, aber so gut wie nichts, was man als Bauch oder gar als Ranzen hätte bezeichnen können. Dazu verfügte sie über lange Beine, die es mit denen Tom Pliskas aufnehmen konnten. Ihre Gestalt entsprach

Weitere Kostenlose Bücher