Der Umfang der Hoelle
auch nicht etwa eine Jagd betrieb und allein dadurch präsent war, daß er die sonntägliche Messe aufsuchte. Was ja das mindeste war, das man einem Mann zugestehen mußte, der die Hälfte der Kirchenerneuerung bezahlt hatte. Daß Bobeck gar nicht an Gott glaubte, auf diese Idee wäre freilich niemand gekommen.
Pliska parkte den Wagen direkt vor der kurzen Treppe, die hinauf auf eine freie, viereckige Terrasse führte. Darauf befand sich ein langgestreckter, von weißem Leinen umspannter Tisch, um den herum ein gutes Dutzend Leute saßen. Und zwar nicht in der prallen Sonne, die zielgenau die Vorderfront des Gebäudes erfaßte, sondern unter einem weiteren weißen Laken, das auf Bambusstangen montiert, die Gesellschaft in einen milden Schatten tauchte.
»Ich dachte«, sagte Reisiger noch im Wagen, »Siem Bobeck sei ein scheuer Mensch.«
»Von Scheue war nicht die Rede«, entgegnete Pliska. »Er hat sich zurückgezogen. Das ist etwas anderes. Er ist hier draußen ständig von Menschen umgeben. Freunden, wenn man so will. Darunter nicht wenige Schmarotzer. Was soll’s. Die Schmarotzerei ist ein durchaus interessantes Feld der Forschung.«
»Es stört diese Leute wohl nicht«, sagte Reisiger, »der Forschung zu dienen.«
»Sie lieben es«, meinte Pliska, verzog sein Gesicht wie im Angesicht eines deutschen Autos und öffnete seine Türe.
Zu dritt schritt man nach oben. Vier, der Dreibeinige, blieb hingegen neben einem der weißumrandeten Reifen des Citroëns stehen. Es sah aus, als posiere er mit seinem Holzbein für eins von diesen Luxusfotos, die nie ohne Brüche auskommen. Auf denen immer etwas Grausliches den Luxus konterkariert.
Der Mann, der sich beim Erscheinen der Neuankömmlinge erhoben hatte und ihnen entgegenkam, entsprach rein äußerlich viel eher dem Bild eines Modezaren als dem eines Wissenschaftlers, zumindest wenn man sich Wissenschaftler als Leute vorstellt, die vor lauter Nachdenklichkeit ihre Hemden verkehrt herum anziehen. Siem Bobeck mochte ein wenig älter als Reisiger sein, und an seinem semmelgelben Hemd, in dessen Manschetten silberne Knöpfe steckten, war nun wahrlich nichts auszusetzen. Bobeck wirkte kein bißchen fett, auch kein bißchen angespannt, besaß eine gesunde Gesichtsfarbe und verfügte über ein volles, gescheiteltes Haupthaar und einen kurz geschnittenen Vollbart von derselben Gewitterfarbe, wie Pliskas Anzug sie aufwies. Er streckte beide Arme aus und faßte die Hand Reisigers, was bei aller Herzlichkeit so aussah, als wollte er eine robuste Wand zwischen sich und seinem Gegenüber aufziehen.
»Es freut mich wirklich sehr«, sagte Bobeck, »Sie kennenzulernen. Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Reise.«
Was hätte Reisiger jetzt sagen sollen? Daß er ein Luxushotel und einen Flug erster Klasse dafür hatte sausen lassen, um zu unchristlicher Zeit auf dem Linzer Hauptbahnhof zu sitzen und wenig später Bekanntschaft mit Bettys Stammgästen zu machen? Nun, das konnte er sich sparen. Weshalb er jetzt erklärte, es genossen zu haben, nach Ewigkeiten wieder einmal in einem schönen, alten Citroën gesessen zu sein. Sodann stellte er Kim Turinsky vor, sprach diesmal aber nicht von einer »Bekannten aus München«, sondern von einer »lieben Freundin«, die er sich erlaubt habe, mitzunehmen.
»Da haben Sie gut daran getan«, sagte Bobeck und reichte Turinsky die Hand. Dabei sah er sie an, wie man eine Zeichnung betrachtet, von der man nicht sicher ist, ob man sie an die Wand hängen oder in den Keller sperren soll.
»Kommen Sie, bitte«, sagte Bobeck mit einer einladenden Geste und ersuchte nun die Tischgesellschaft für einen Moment um Ruhe. Die Gespräche erloschen augenblicklich. Die, die mit dem Rücken zu Bobeck saßen, wandten sich um. Man sah den Visagen an, daß Bobeck nicht erst große Weisheiten von sich geben mußte, um Aufmerksamkeit zu erlangen. Er war hier der Meister.
»Das sind Herr Reisiger und Frau Turinsky«, sprach er, »sie sind Gäste meines Hauses. Keine Halunken wie ihr (leises Gelächter), die meine Weinvorräte aufbrauchen und mein Mobiliar abnutzen. Seid also nett zu ihnen. Es soll nachher nicht heißen, ich würde mich mit lauter garstigen Menschen umgeben.«
Er ließ seine Einleitung kurz wirken, wie man Creme einziehen läßt, sodann erklärte er: »Herr Reisiger ist jener couragierte Mann, der Claire in dieser leidigen Geschichte zur Seite gestanden ist, während ein Haufen anderer Bürger gar nichts unternahm, sich zwei Kellner aus dem
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