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Der Umweg

Der Umweg

Titel: Der Umweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerbrand Bakker
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fiel ihm ein, daß er die Adresse nicht mehr wußte, er mußte erst noch im Internet danach suchen. Er zog Laufschuhe an, die er nicht zuschnürte. Auf der Fahrt schaltete er möglichst wenig, die Kupplung zu treten war eine Qual. Das Lauftraining konnte er wohl erst einmal vergessen. Er brauchte nicht unbedingt in den vierten Gang zu schalten, der Weg zur Arztpraxis führte durch sein eigenes Wohnviertel. Während der Fahrt rief er im Büro an, sagte vorsichtshalber, daß er vielleicht den ganzen Tag ausfallen würde, er befürchte es sogar. Er konnte sich nicht vorstellen, daß nichts gebrochen war.
    Als er das Sprechzimmer betrat, erwartete ihn eine Ärztin, die er nicht kannte, dabei hätte er geschworen, daß sein Hausarzt ein Mann war. Sie drückte ihm fest die Hand, nannte ihren Namen und saß auch schon wieder, halb hinter einem Monitor versteckt.
    »Fruchtbarkeitsuntersuchung«, sagte sie. »Voriges Jahr im November.«
    »Äh, ja«, bestätigte er.
    »Wurde in der Uniklinik durchgeführt.«
    »Ist das hier eine Prüfung?«
    »Bitte?«
    »Wonach suchen Sie denn da?«
    »Ich lese mich kurz ein.«
    »Mir ist ein Karton auf den Fuß gefallen. Ein sehr schwerer Karton.«
    »Ja, natürlich.«
    »Bitte?«
    »Ich meine …«
    »Wer sind Sie eigentlich?«
    »Ich habe Ihnen meinen Namen doch eben genannt.«
    »Habe ich gehört, aber mein Hausarzt hieß nicht so.«
    »Diese Hausarztpraxis ist seit 1. Januar eine Gemeinschaftspraxis. Das heißt, mehrere …«
    »Ich weiß, was eine Gemeinschaftspraxis ist.«
    »Ihr Fuß, sagten Sie.«
    »Ja.« Er zog Schuh und Socke aus.
    »Setzen Sie sich bitte einen Moment dort auf den Behandlungstisch.«
    Während die Ärztin seinen Fuß befühlte, nicht gerade sanft, versuchte er über ihren Kopf und ihren leicht gebeugten Rücken hinweg den Text auf dem Bildschirm zu entziffern. Der Behandlungstisch stand zu weit entfernt. Ich darf mich nicht im Ton vergreifen, dachte er. Kurz danach konnte er wieder vor dem Schreibtisch Platz nehmen. Sie schrieb eine Überweisung aus.
    »Nehmen wir wieder die Uniklinik?«
    »Ja«, sagte er. »Das ist am bequemsten.«
    »Ich glaube, es ist nur eine schwere Prellung, aber ich habe keine Röntgenaugen.«
    »Nein«, sagte er.
    Sie reichte ihm die Überweisung. »Sie können sofort hin.«
    »Diese Angaben«, begann er.
    »Ja?«
    »Sind die nur von mir oder von uns beiden … zusammen?«
    Die Ärztin blickte auf den Bildschirm. »Von allen Personen, die zu Ihrem Haushalt gehören. Deshalb steht hier auch, daß Ihre Frau oder Freundin, wie Sie selbst, eine Fruchtbarkeitsuntersuchung hat durchführen lassen.«
    »Ja, natürlich«, sagte er.
    Sie studierte aufmerksam die Datei, tippte etwas ein, vielleicht benutzte sie auch nur eine Richtungstaste, das konnte er nicht sehen. »Juli.« Sie las noch kurz weiter, schaute ihn dann forschend an. »Wie geht es ihr jetzt? Wird sie intensiv behandelt?«
    »Einigermaßen«, antwortete er.
    »Es kommt nicht oft vor, daß bei einer Fruchtbarkeitsuntersuchung etwas anderes entdeckt wird. Weil man nicht darauf achtet.«
    »Nein«, sagte er. Sprich weiter, dachte er. Bitte sprich weiter.
    Immer noch dieser forschende Blick. »Ich glaube, Sie wissen gar nicht, wovon ich spreche?«
    »Nein. Doch.«
    »Es tut mir leid, aber mehr kann ich Ihnen nicht sagen. Ich fürchte, ich habe jetzt schon zuviel gesagt.«
    »Sie ist meine Frau!« erwiderte er.
    »Gerade deshalb ist es ja so merkwürdig, daß Sie von nichts wissen.«
28
    Nebel. Die Welt stand still, man hörte kaum einen Laut, sogar das Rauschen des Bachs klang so gedämpft, als würde das Wasser durch ein Gazesieb fließen. Trotzdem arbeitete sie im Garten. Die Erle, mit der sie im November angefangen hatte, war jetzt kahl, der zweiten fehlten auch schon ein paar dicke Äste. Sie ließ es ganz ruhig angehen. Wenn sie müde wurde, stieg sie vorsichtig vom Küchenstuhl und ging ins Haus, um sich einen Moment vor den großen Herd zu setzen. Erst nachdem sie eine Tasse Tee getrunken, etwas gegessen und eine Zigarette geraucht hatte, machte sie sich wieder an die Arbeit. Sie befreite die Äste von den Zweigen und stapelte sie an der Gartenmauer auf, an der kurzen Seite des Rasens. Dickinson hätte bei solchem Wetter hüstelnd und seufzend im Haus gesessen, dachte sie, und etwas von hellen Frühlingstagen und der ersten Biene geschrieben. Das Sägen ging immer leichter, seit sie begriffen hatte, daß sie der Säge die Arbeit überlassen konnte. Die Lampe im Schweinestall

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