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Der Umweg

Der Umweg

Titel: Der Umweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerbrand Bakker
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brannte, die Tür stand offen; beim Anblick des warmen Lichts im Stall, vom Nebel zerstreut, mußte sie an Esel und Ochsen denken, an eine Krippe. Immer so weitersägen, ganz ruhig, es gibt nur diese kleine Welt mit ihren erstickten Geräuschen. Während sie draußen arbeitete, sah sie den Küchentisch vor sich und darauf die Karte und eine neue Gartenskizze, und deshalb dachte sie an den kommenden Montag, an eine Fahrt zu einem Laden in Caernarfon, der Buntstifte hatte. Und zu einem anderen, in dem sie einen Fernseher kaufen wollte, weil die Abende jetzt doch arg lang wurden und sie gern, ohne nachzudenken, irgendwelche Garten- oder Antiquitätensendungen sehen wollte oder die BBC -Serie über Leute, die von der Stadt aufs Land ziehen möchten und sich ratsuchend an den Moderator wenden.
    Als sie gerade mit einem neuen Ast zu dem Stapel unterwegs war, sprang jemand über das Mäuerchen, in einem Wirbel aus feuchter Luft. Ein Sprung wie in Zeitlupe, so kam es ihr vor, vielleicht, weil der Mann einen großen Rucksack trug. Er landete auf dem Aststapel, verlor das Gleichgewicht und rutschte seitlich ab. Auch das wirkte langsamer als normal, sie mußte an einen Bodenturner denken. Er rappelte sich auf und griff nach seinem linken Handgelenk. Sie blieb stehen.
    »Oh«, sagte er. Eher ein Junge als ein Mann.
    »Hast du dich verletzt?« fragte sie.
    »Nein, eigentlich nicht«, antwortete er. »Jedenfalls …«
    Sie warf den Ast hin und ging auf den Jungen zu.
    »Bradwen«, sagte er.
    »Wie?«
    »So heiße ich.« Er streckte ihr die Hand entgegen.
    Sie nahm die Hand. »Emilie.«
    »Ist das dein Haus?«
    »Ja.«
    »Bist du Deutsche?«
    »Wieso fragt mich das hier jeder? Könnt ihr den Unterschied zwischen deutschem und niederländischem Akzent nicht hören?«
    »Sorry.« Er sprach mit rollendem R.
    »Macht nichts. Aber es ist schon auffällig.« Sie hielt immer noch seine Hand fest. Er hatte eine Mütze auf dem Kopf und schielte. Nicht stark, aber es verwirrte ein wenig. »Tut das Handgelenk weh?«
    »Ja.«
    Sie zog ihre Hand zurück. »Möchtest du dich einen Moment setzen?«
    »Ja.«
    »Dann komm bitte rein. Ich mache Kaffee.«
    »Sam!« rief der Junge.
    Ein Hund sprang über das Mäuerchen, wie sein Herr landete er auf dem Aststapel, und wie sein Herr rutschte er aus. Zappelnd richtete er sich wieder auf.
    »Ein Hund«, sagte sie.
    »Sam«, erklärte der Junge. »Mein Kumpel.«
    »Hallo, Sam«, sagte sie.
    Der Hund beschnüffelte ihre ausgestreckte Hand und leckte sie.
    »Er mag dich«, meinte der Junge.
    Sie packte das Tier am Kinn und schaute ihm in die Augen. »Ich mag ihn auch.« Der Hund befreite seinen Kopf.
    »Freut mich«, sagte der Junge.
    »Kaffee«, sagte sie.
    Der Junge hatte seinen Rucksack unter der Uhr abgestellt und die Mütze abgenommen. Dickes, schwarzes Haar war zum Vorschein gekommen, er ließ es zerzaust, wie es war. Der Hund lag nah am Herd, ab und zu seufzte er zufrieden. Sie hatte Kaffee gekocht und ein paar Kerzen angezündet, die auf der Fensterbank über der Anrichte standen. Es wurde schon wieder dämmerig, die Tage waren beängstigend kurz. Für den Jungen hatte sie ein Käsebrot geschmiert. »Danke, Emily«, sagte er, als sie ihm den Teller hinstellte. Was soll’s, dachte sie beim Hören des Namens. Er ist ja gleich wieder weg. Jetzt war das Brot gegessen, eine zweite Tasse Kaffee getrunken. Er hatte nichts gesagt, während er aß und trank. Seine Bergschuhe hatte er an der Haustür ausgezogen, ein süßlicher Geruch hing in der Küche.
    »Ich muß weiter«, sagte er. »Es wird dunkel.«
    »Wohin gehst du?«
    »Nicht weit von hier gibt es ein Bed and Breakfast.«
    »Wie weit?«
    Er beugte sich zu seinem Rucksack hinunter und holte eine Karte heraus. Er hatte die gleiche wie sie, ihre hatte sie vorher vom Tisch genommen, zusammengefaltet und auf die Anrichte gelegt. Seine Karte war aber viel öfter benutzt worden, das ursprünglich steife Papier war schon ganz weich. Er faltete sie auseinander und glitt mit dem Zeigefinger darüber. Sehnige Hände mit breiten Daumen, ein bißchen schmutzig.
    »Etwa drei Meilen.«
    »Bis du da ankommst, ist es stockdunkel«, sagte sie.
    »Ja«, bestätigte er.
    »Wirst du dort erwartet?«
    »Nein, ich hab noch nicht angerufen.« Er dachte kurz nach. »Meistens rufe ich um die Mittagszeit an, wenn ich schon ein paar Stunden unterwegs bin. Heute nicht. Keine Ahnung, warum.«
    »Notfalls kannst du auch hier schlafen«, sagte sie. »Wenn du willst. Ich habe eine

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