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Der Umweg

Der Umweg

Titel: Der Umweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerbrand Bakker
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Chaiselongue im Arbeitszimmer.«
    Der Hund gähnte.
    »Sam ist dafür«, sagte er. »Der liegt da schön warm.«
    »In Ordnung.«
    »Wohnst du allein hier?«
    »Ja.«
    Während sie kochte, nahm der Junge ein Bad. Der Hund hatte seinen warmen Platz verlassen, und als sie leise ein paar Treppenstufen hinaufstieg, sah sie ihn vor der geschlossenen Badezimmertür liegen. Er richtete sich halb auf und schaute sie aufmerksam an. Sie schüttelte den Kopf und ging wieder hinunter, der Hund folgte ihr. Seltsam, wie leicht der Junge und der Hund sich diesem Haus anpaßten. Im Wohnzimmer schob sie noch ein paar Holzscheite in den Ofen. Dann ging sie wieder in die Küche und rührte im Suppentopf. Der Hund legte sich vor den Herd. Sie öffnete eine Flasche Rotwein. Die Uhr tickte boshaft, die Gänse kollerten leise.
29
    »Ich erkunde einen neuen Fernwanderweg«, sagte er. »Das heißt, eigentlich entsteht er dadurch erst. Im Süden gibt es den Pembrokeshire Coast Path . Jetzt will man hier im Norden auch so etwas haben.« Er hatte ein Notizbüchlein aus dem Rucksack genommen. »Ich schreibe alles auf, alles, was ich sehe, Markierungspunkte. Manchmal ist ein ganzer Arbeitstag umsonst, weil es irgendwo nicht weitergeht.« Seine Haare waren gewaschen, er sah ganz anders aus als vorher. Sein Gesicht schien zu glühen.
    »Wie lange brauchst du dafür?«
    »Weiß ich noch nicht. Ich hab jede Menge Zeit.«
    »Wieso das?«
    »Ich hab mein Studium hingeschmissen. Interessiert mich nicht mehr.«
    »Seit wann bist du unterwegs?«
    »Anderthalb Wochen.«
    Dem Hund hatte er Brocken zu fressen gegeben, aus einer Plastiktüte. Sam brauchte drei Minuten dafür. Sie hatte Suppe aufgetischt. Brot, Rote-Bete-Salat, Butter und Käse.
    »Ich muß auch Bauern wegen des Wanderwegs ansprechen, damit sie ihre Zustimmung geben. Bauern und Hausbesitzer. Eigentlich arbeite ich also jetzt gerade.«
    »Der Weg führt fast eine halbe Meile über meine Zufahrt.«
    »Genau das meine ich.«
    Sie goß ihm noch ein Glas Wein ein. Er hatte die ersten beiden gierig geleert, auch jetzt begann er sofort zu trinken. »Hast du Angst, jemand könnte dir was wegtrinken?«
    »Ich trinke, was du mir eingießt.«
    »Wie alt bist du eigentlich?«
    »Zwanzig.«
    »Was hast du studiert?«
    »Hab ich vergessen. Was Ödes.«
    »Du willst es nicht sagen.«
    Er löffelte seine Suppenschale leer. Er führte nicht den Löffel zum Mund, sondern beugte sich jedesmal tief über die Schale. »Lecker.«
    »Was macht dein Handgelenk?«
    »Ist in Ordnung.«
    »Möchtest du noch etwas?«
    »Nein, ich hab genug.« Er lehnte sich zurück, hob beide Arme und reckte sich, wobei er mit der einen Hand am anderen Handgelenk zog. Sein verwaschenes T-Shirt rutschte hoch, in der linken Achsel hatte es ein Loch. »Nicht, daß du ablehnen könntest«, sagte er dann.
    »Was?«
    »Im Grunde kannst du nicht ablehnen. Right of way heißt das. Den Weg, den ich heute gegangen bin, gibt es schon. Ist auch auf der Karte eingezeichnet. Du kannst niemandem verbieten, da langzugehen.«
    »Ich habe hier noch nie jemanden gesehen. Ich bin die einzige, die den Weg benutzt.«
    »Ja, das war komisch heute. Auf einmal war da der Weg, obwohl ich mich vorher immer wieder verlaufen hatte.«
    »Auf diesem Weg gehe ich zum Steinkreis.«
    »Zum Steinkreis.«
    »Ja, du mußt mitten durch den Kreis durchgegangen sein.«
    »Gar nicht bemerkt.«
    »Es war neblig.«
    »Noch ein Glas wär schon nicht schlecht.«
    Sie mußte aufstehen, um eine neue Flasche zu holen. Der Hund war sofort hellwach. Es war warm in der Küche, das Fenster beschlagen. Sie nahm wieder den Altweibergeruch wahr, schüttelte den Kopf, um ihn loszuwerden. Der Junge und vor allem der Hund hatten auch einen eigenen Geruch, und der Suppentopf war nicht abgedeckt. Ein Suppentopf, der außerdem von der Witwe Evans stammte. Sie entkorkte die Weinflasche. »Woher kommst du?«
    »Ich bin in Llanberis geboren. Und du?«
    »Rotterdam.«
    »Da bin ich nie gewesen.«
    »Und ich nicht in Llanberis.« Sie versuchte den ch-ähnlichen Laut am Anfang von Llanberis genau wie er auszusprechen.
    Als sie die zweite Flasche Wein geleert hatten, reichte es ihr. Sie war todmüde, brauchte Paracetamol und wollte ins Bad, die ganze Zeit hatte sie in ihren schmutzigen Sachen am Tisch gesessen, während er frisch gewaschen und sauber angezogen war. Sie hatte ihn ein paarmal bewußt mit Bradwen angeredet, um sich an den Namen zu gewöhnen, und anscheinend war ihm das aufgefallen, denn er

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