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Der Umweg

Der Umweg

Titel: Der Umweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerbrand Bakker
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jedenfalls waren sie von dem Weg an der Wallhecke aus nicht mehr zu sehen. Auf dem Deich überlegte sie, daß der Weg früher regelmäßig begangen worden sein mußte, sonst gäbe es ja nicht die Schilder mit dem marschierenden Männchen, die kissing gates und die stiles . Und jetzt kam es ihr schon selbstverständlich vor, daß sie niemandem begegnete. Hin und wieder mußte doch ein Wanderer vorbeikommen, vielleicht war das auch schon geschehen, während sie sich auf der Chaiselongue im Arbeitszimmer ausruhte oder beim Friseur saß oder bei Tesco einkaufte. Auf dem größten Stein des stone circle rauchte sie eine Zigarette und wartete, bis der Dachs – sie nahm an, daß es immer derselbe war, das Männchen, das sie in den Fuß gebissen hatte – unter dem Stechginster hervorschaute. Wie beim letzten Mal blickte er sie an, machte aber keine Anstalten, seinen Unterschlupf ganz zu verlassen. Vielleicht erinnerte er sich an den Ast, der auf seinem Rücken zerbrochen war.
26
    Bei der Ankunft in Hull hatte sie an vier verschiedenen Automaten mit ihrer EC-Karte und ihrer Kreditkarte eine große Summe Geld abgehoben. Ihr war übel gewesen, die Nachtfähre hatte geschlingert; sie hatte sich so elend gefühlt, daß sie sich vornahm, nie wieder mit einem Schiff dieser Größe zu fahren. Trotzdem hatte sie noch die Geistesgegenwart gehabt, viel Geld auf einmal zu ziehen, damit man ihr später nicht über weitere Abhebungen auf die Spur kam. Dann war sie einfach losgefahren. Auf Autobahnen nach Bradford, Manchester, Chester. Damals dachte sie noch an Irland. Bei einem Little Chef hatte sie die Plane über dem Zeug auf ihrem Anhänger wieder festzurren müssen. »Zeug« hatte sie gedacht. Das waren die schmale Matratze, der Couchtisch, allerlei Kleinkram, den sie rasch zusammengesucht hatte, ohne groß nachzudenken. Schon vor Wales stand Holyhead auf den Schildern, sie konnte einfach auf der A55 bleiben. Sie tankte und bezahlte mit ihrer Kreditkarte, bevor ihr bewußt wurde, was sie da tat. In Bangor hörte der Regen endlich auf, und in dem Augenblick, als sie auf die Britannia Bridge nach Anglesey fuhr, fiel ihr die Überfahrt ein. Nein, nicht noch einmal ein solcher Alptraum. Der Meeresarm zwischen dem Festland und Anglesey sah im dunstigen Sonnenlicht wunderschön aus: die steilen, bewaldeten Ufer, die zwei alten Brücken, große weiße Vögel in salzigem Schlick, eine kleine Insel mit einem weißen Häuschen darauf. Sie war umgekehrt und hatte sich eine Bed-and-Breakfast-Unterkunft gesucht. Am nächsten Tag war sie bei Rhys Jones’ Maklerfreund gelandet, der angeblich genau das richtige Haus für sie hatte, fast vollständig möbliert und quartalsweise zu mieten. Ein grey stone Welsh farmhouse . Sie waren hingefahren, in seinem Wagen, er hatte sie durchs Haus und über das Grundstück geführt, im Vorbeigehen achtlos auf den Stall gezeigt und » pigsty « gesagt. Nach einer zweiten Nacht in ihrem Bed and Breakfast war sie eingezogen. Er hatte die Gänse nicht erwähnt, sie hatte sie nicht gesehen. Rhys Jones’ Schafe weideten damals noch nicht auf ihrem Land. Sie hatte die Miete bis 1. Januar bezahlt und immer noch mehr als genug Geld.
    Langsam rollte sie halbe Schubkarrenladungen Schiefer von dem Haufen zum Weg. Jedesmal wenn sie mit der leeren Schubkarre um die Hausecke kam, begannen die fünf Gänse leise zu schnattern. Es war fast nicht zu ertragen, sie schaufelte schnell, um sie zu übertönen. Nach ein paar Fuhren belud sie die Schubkarre nur noch zu einem Viertel. Sie hatte den Bindfaden und die Bambusstöcke entfernt, kippte den Schiefersplitt gegen die dicken Erlenäste und verteilte ihn mit der rostigen Mistgabel. Als sie fertig war, schob sie einen Küchenstuhl an den großen Herd, trank ein Glas Milch, aß Brot, rauchte eine Zigarette und überlegte, daß sie eigentlich Selbstgedrehte rauchen müßte, um sich wie ein richtiger Gärtner zu fühlen. Am Nachmittag pulte sie mit einem Messer Unkraut aus der Erde unter dem Splitt, die Knie auf der Türmatte. Von der Hausecke gegenüber dem Schweinestall rutschte sie langsam auf die Ecke mit dem Bambus und dem Öltank zu, bis sie zum Bach kam; dort legte sie die Matte – WELCOME stand darauf – als Sitzkissen auf die Erde. In der Zeit, die sie damit verbracht hatte, sich wie einen lebendigen Müllsauger über den Splitt zu schieben, hatte sie über nichts bewußt nachgedacht, alles mögliche war ihr in den Sinn gekommen und wieder verschwunden. Sie ließ die Beine

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