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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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Striche in langen Linien, und wenn er sie ansah, freute sich der Kontrolleur und geriet geradezu in noch größeren Eifer, da er fühlte, dass die Sache gut voranging.
    Als alle weißen Felle, gebündelt sowie auch einzeln, auf einen neuen Haufen übergewechselt waren, stand Dobrynin ein weiteres Mal auf. Etwas knackte in seinem Kreuz, doch er ging mit zufriedenem und ein wenig erschöpftem Lächeln auf dem Gesicht zum Tisch, setzte sich und begann seine Striche zu zählen. Zuerst wollte er sie einfach abzählen, aber er war gerade bis ans Ende der ersten Zeile gekommen, als er sogleich vergaß, wie viele Striche es gewesen waren. Da begann er, sie durchzustreichen, sobald er zehn beisammen hatte. Jetzt ging die Sache schneller voran, und am Ende blieben ihm sieben nicht Durchgestrichene, drei Felle fehlten zu einer letzten Zehnereinheit. Er sah sich um und hoffte, noch irgendwo drei Stück zu erspähen, aber er sah keine und ging nun daran, die Zehnereinheiten zu zählen.
    Am Ende kam er nicht ohne Mühe auf die Anzahl der vorliegenden weißen Felle – es waren 387. Dann sah er auf die vorhergehende Seite des Buches – dort war ein Bestand von 354 weißen Fellen verzeichnet. ‚Hauptsache, dass es nicht weniger sind!‘, dachte Dobrynin.
    Nachdem er sich ein wenig erholt hatte, nahm der Kontrolleur sich die schwarzen Felle vor. Hier ging die Zählung bereits sehr zügig vonstatten, umsomehr, als viel weniger schwarze Felle da waren.
    Es gab 154 davon, und entsprechend trug Dobrynin diese Zahl auf einer frischen Seite des Buches ein. Dann sah er nach dem vorherigen Eintrag – dort wurden 153 geführt.
    Hierauf hängte Dobrynin, nachdem er beschlossen hatte, den Boden von den gezählten Fellen freizumachen, weiße und schwarze Felle an Haken, und jene, die nur ungebündelt am Boden herumlagen, schob er mit dem Fuß in eine ferne Ecke.
    Nun blieben noch die „versch.“ zu zählen, was natürlich ‚verschiedene Felle‘ hieß. Sie waren tatsächlich auch verschieden, sowohl in ihrer Farbe als auch in ihrer Größe, und Dobrynin kam zu dem Schluss, dass sie wohl außerdem von verschiedenen Tieren stammten. Es gab da sowohl schwarzbraune, als auch graue Felle, ein riesiges braunes Fell – das musste von einem Bären sein –, sowie noch allerlei andere, die er nicht einordnen konnte. Sie zu zählen war nicht einfach, doch Gottseidank nahmen sie wenig Platz ein, und das hieß, es gab nicht viele davon.
    Die Finger arbeiteten flink; die ersten zehn – ein Strich, die zweiten zehn – ein zweiter Strich, die dritten zehn – ein weiterer …
    Nachdem er ein riesiges Fell, offenbar gleichfalls von einem Bären, auf den Haufen der schon gezählten Felle hinübergelegt hatte, bemerkte Dobrynin darunter einen Stapel gelblicher Felle von regelmäßig rechteckiger Form, die mit einem Lederband zusammengebunden waren. Er nahm sie in die Hände, um sie durchzuzählen, ohne sie aufzubinden, doch da erblickte er auf einer umgeklappten Ecke ein seltsames Zeichen. Er wunderte sich, löste das Lederband und zog dieses Fell heraus, drehte die Lederseite um und erstarrte fassungslos – vor ihm auf dem Pergament aus alter Haut standen Zeile um Zeile säuberlich aufgereiht unverständliche fremde Schriftzeichen, schwarze Buchstaben oder irgendwelche Zeichen. Da zog der Kontrolleur die übrigen Felle aus diesem kleinen Stapel, und sie alle waren, wie Buchseiten, auf der Leder-seite mit diesen Schriftzeichen vollgeschrieben. Da vergaß Dobrynin das Zählen, stand auf, legte diese Leder-Seiten auf den Tisch und kam ins Grübeln. Er sann über das Lesen und Schreiben nach, über die große Mühe, die ihn selbst das Erlernen der einzelnen Buchstaben des russischen Alphabets gekostet hatte. Und wie er abends nach der Arbeit mit den anderen Dorfgenossen in der Dorfschule im Unterricht gesessen hatte, in der Kampagne zur ‚Beseitigung des Analphabetentums‘.
    Die Zeit verging. Der Kälte zum Trotz bekam Dobrynin jetzt Hunger.
    Er beschloss, die Rückkehr seines Gehilfen abzuwarten und in ihre zeitweilige Behausung zurückzukehren.
    Um nicht tatenlos da zu sitzen, beendete er die Zählung aller Felle und verglich die Ergebnismenge mit dem vorigen Eintrag im Rechnungsbuch. Es war alles in Ordnung.
    Waplachow aber tauchte nicht auf.
    Dobrynin schlang seinen rotbraunen Pelz enger um sich und zog den Gürtel fest, darauf trat er in die Kälte hinaus und blickte sich um.
    Es dunkelte schon ein wenig, man sah, dass der Polarabend angebrochen

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