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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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nicht so schnell.“
    „Dann schlag dir gegen die Stirn!“, riet Dobrynin. „Das hilft ungemein!“
    Der Urku-Jemze sah seinen Chef an, und dann schlug er sich tatsächlich so gehörig gegen die Stirn, dass er die Augen zusammenkneifen musste.
    Wieder blickte er auf die Lederseite.
    Seine Augen weiteten sich, und ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht.
    „Na, fällt dir was ein?“, fragte Dobrynin.
    „An ein Wort habe ich mich erinnert, das hier!“, Waplachow wies mit dem Finger auf ein Zeichen auf der ledernen Seite. „Das heißt ‚geheimer unterirdischer Weg‘ …“
    „Schlag nochmal! Na, gegen die Stirn!“, sagte Dobrynin zu ihm.
    Waplachow konzentrierte sich, holte mit der rechten Hand weit aus und schlug sich mit voller Kraft noch einmal.
    In diesem Augenblick verlor das Iljitschlämpchen seine Helligkeit, es begann zu verlöschen, am Ende gab es nur noch einen rot schimmernden Leuchtfaden in der Dunkelheit, sowie die dunkelroten, schon verbrannten Kohlen im Ofen.
    „Gute Nacht!“, drang aus dem anderen Zimmer die Stimme des Funkers Petrow herüber.
    „Gute Nacht!“, antwortete ihm leise aber verärgert Dobrynin.
    Als seine Augen sich ein wenig an die Dunkelheit ge­wöhnt hatten, suchte er mit dem Blick nach einer Öllampe oder einer Kerze, fand aber nichts. Der Urku-Jemze versuchte gleichfalls etwas zu tun, er trug die Schriftzeichen auf der Lederseite zum Ofen, die glühenden Kohlen gaben jedoch kein Licht. Es war unmöglich weiter zu lesen, was dort geschrieben stand.
    Für alle Fälle ließ Dobrynin sich die Felle von Waplachow zurückgeben und steckte sie in seinen Reisesack, die er umgehend wieder unter das Bett schob. Er legte sich hin und ließ dabei die Sprungfedern quietschen. Nach Schlafen war ihm nicht.
    Waplachow hingegen fühlte sich, sobald er auf seinem Bett lag, gemütlich und ruhig. Die Augen fielen ihm zu.
    Dobrynin konnte nicht einschlafen. Wie im Fiebertraum eilten die Gedanken von einer Sache zur anderen, wobei sie von Zeit zu Zeit zu diesen geheimnisvollen Schriftzeichen zurückkehrten. Er dachte auch über den Funker Petrow nach, von dem die Alte gesagt hatte, er sei kein Russe, weil er sehr freundlich sei. Der Volkskontrolleur war im Namen der russischen Nation gekränkt. Woher, überlegte er, kann denn diese Alte wissen, wie freundlich Russen sind? Und gleich darauf überlegte er, dass er sie wohl besuchen und ihr etwas schenken sollte, damit sie nicht mehr derlei Garstiges über das russische Volk erzählte.
    Es war still im Zimmer. Nur Waplachow wälzte sich dann und wann im Schlaf von einer Seite auf die andere und murmelte dabei vor sich hin.
    Da schwang Dobrynin die Füße auf den Boden, stand auf und ging durch den Raum, wobei er horchte, ob nicht die hölzernen Dielen unter den Füßen knarrten. Nein, sie knarrten nicht. Still war es.
    Er blieb vor dem Ofen stehen, kauerte sich hin und blickte in die erloschenen Kohlen; er fand einen Stecken direkt da­neben, stocherte in der Asche und zog noch ein lebendiges, rotglühendes Kohlestückchen heraus. Das Metall des Ofens war warm.
    Die Zeit verstrich langsam. Langsam, aber unaufhörlich. Immer mehr von ihr blieb in der Vergangenheit, rollte mit den durchlebten Stunden, Tagen, Wochen fort, dort hinüber. Wie viel Zeit war nun schon vergangen, seit er sein Haus und sein Dorf verlassen hatte? Ein Jahr? Zwei?
    Dobrynin wusste es nicht mehr. Er hatte auf die Zeit nicht geachtet, weil er ganz und gar verschlungen wurde von den Gedanken an seine Arbeit und von der Arbeit selbst, die ihn jetzt mehr in Beschlag nahm, als einst seine Familie.
    Plötzlich durchschnitt ein unverständlicher Laut die nächtliche Stille vor dem Fenster.
    Dobrynin drehte sich dem Fenster zu – dort war es so dunkel wie zuvor.
    Waplachows eisernes Bettgestell quietschte, während er sich wieder von einer Seite auf die andere drehte.
    Dobrynin kehrte mit dem Blick zu dem rotglühenden Kohlestück zurück, aber da drang aufs Neue undeutlicher Lärm von draußen herein, und beunruhigt stand der Volkskontrolleur auf.
    Er ging in das Vorzimmer des Hauses, öffnete die Tür ein wenig und spähte ins Freie.
    In derselben Sekunde fesselte ein heller Lichtfleck seinen Blick. Ein starker Strahl leuchtete direkt in die geöffnete Tür des Fellmagazins, und Menschen flitzten in diesem Licht hin und her.
    Das Herz des Volkskontrolleurs pochte heftig, Aufregung packte ihn, und mit einer hastigen Bewegung schloss er die Tür, lief ins Zimmer zurück und

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