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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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weckte Waplachow.
    „Steh auf! Steh auf!“, sagte er. „Sie rauben das Magazin aus!“
    Während der Urku-Jemze sich erhob, holte Dobrynin den Revolver aus seinem Reisesack, schlüpfte in seinen Pelz und zog den Gürtel fest zu.
    „Was stehst du so da!“, fuhr Dobrynin den Urku-Jemzen an. „Los, komm!“
    So leise sie konnten, liefen sie hinaus in die Kälte.
    „Sollen wir vielleicht Petrow wecken?“, flüsterte Dobrynin, der stehengeblieben war, vor sich hin, antwortete aber gleich selbst: „Das schaffen wir doch allein.“
    Sie liefen auf den hellen Lichtstrahl zu, der geradewegs in die offene Magazintür leuchtete.
    Als sie ziemlich nahe herangekommen waren, machten sie Halt.
    Fieberhaft überlegte Dobrynin, was nun zu tun war: den Revolver ziehen und alle verhaften, oder etwas Anderes? Aber was? Was konnte man in solch einer Situation sonst noch tun?
    „Geh, weck Petrow auf! Er soll sein Gewehr nehmen und herkommen. Ich verhafte sie schon!“, sagte er schließlich zu Waplachow, und Waplachow eilte zum Haus zurück.
    Dobrynin schritt derweil kühn, den Revolver in der Hand, auf das Magazin zu.
    Aber erst einmal geschah gar nichts, niemand bemerkte den Volkskontrolleur überhaupt. Ein paar Männer flitzten wie zuvor zum Magazin und zurück, und man sah jetzt, dass sie Felle heraustrugen und sie auf einen in der Dunkelheit fast unsichtbaren Wagen luden. Der war es auch, der mit seinen Scheinwerfern den Eingang und das Innere des Magazins beleuchtete.
    Nachdem Dobrynin eine Weile direkt neben dem Lichtstrahl gestanden hatte, füllte er seine Lungen mit Luft und schrie aus Leibeskräften: „Halt! Ich schieße! Sie sind verhaftet!“
    Die Männer blieben stehen, sahen sich um und konnten offensichtlich nicht sehen, wer da gerufen hatte. Da trat noch jemand zu denen, die im Licht standen, flüsterte etwas, verließ den Lichtkreis wieder, und im nächsten Augenblick tauchte ein weiterer Lichtstrahl im Dunkel auf, schwach und dünn, eindeutig von einer Taschenlampe. Dieser Lichtstrahl hüpfte umher, bis er auf Dobrynins Gesicht inne hielt.
    „Ich schieße!“, rief Dobrynin und kniff die Augen zu, denn mochte der Lichtstrahl auch schwach sein, in dieser Dunkel­heit blendete er dennoch sehr.
    Zwei Männer traten zu Dobrynin.
    Aus schmalen Augen starrte sie ihn durchdringend und unfreundlich an. Dann sagte einer etwas zum anderen in einer Sprache, die nicht Russisch war, und hier erkannte Dobrynin die ganze Dummheit seiner Lage: Natürlich hatten sie seine Befehle gar nicht verstanden, sie begriffen nicht, dass er sie gerade verhaftet hatte. Und das hieß, er konnte sie überhaupt nicht verhaften.
    Während er darüber noch nachdachte, entriss eine starke Hand ihm seinen Revolver, und die beiden schmaläugigen Männer gingen schnell beiseite. Er war nun allein, allein und ohne Waffe.
    ‚Was tun? Was tun?‘, dachte er fieberhaft.
    Doch um darüber nachzudenken, war es bereits zu spät. Starke Hände packten ihn von hinten an den Schultern, drehten ihm die Arme auf den Rücken, und er spürte, wie sich um seine Handgelenke ein rauher, dicker Strick zuzog. Das ging in aller Stille vor sich, die Menschen, die ihn fesselten, schwiegen und verrichteten stumm ihr Werk.
    Dobrynins einzige Hoffnung waren Waplachow und Petrow, falls sie rechtzeitig bewaffnet zurückkommen würden. Doch alles war still, und es sah ganz so aus, als eilte niemand dem Volkskontrolleur zu Hilfe.
    Der Mann mit der Taschenlampe trat näher und blieb bei Dobrynin stehen; gemeinsam mit ihm trat noch einer zu dem Kontrolleur, von kleinerem Wuchs, ebenso schmal­äugig. Dieser Kleingewachsene stach Dobrynin plötzlich mit dem Zeigefinger ans Kinn und sagte: „Gib Papiere, Waffe!“
    ‚Ihr Schufte‘, dachte Dobrynin, beschloss gar nicht erst mit ihnen zu reden und blickte finster drein wie ein Stier. Der Kleingewachsene, der offenbar ihr Übersetzer war, fuhr dem Volkskontrolleur mit den Händen zwischen Pelz und Hemd und begann seine Taschen abzutasten. Er zog den Pass des toten Pferdes Grigorij und etwas Kleingeld heraus. Das Kleingeld warf er in den Schnee, den Pass schlug er auf. Der Strahl der Taschenlampe glitt über den aufgeschlagenen Ausweis, wonach der Kleingewachsene in seiner unverständlichen Sprache etwas zu dem Mann sagte, der neben ihm stand.
    Dann geschah etwas Eigenartiges. Der Mann mit der Taschenlampe wurde zornig, begann den Kleingewachsenen anzuschreien, zog dann die Pistole und erschoss den Übersetzer. Der ächzte und

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