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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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leinenen Postsack und stellte diesen an den Eingang zur Laubhütte des Kremlträumers.
    Darauf setzten sie sich ans Feuer und wärmten sich.
    Banow aber dachte immerzu an Klara und hörte nicht auf sich zu fragen, ob sie aus dem Brief wohl alles erraten würde oder nicht.

Kapitel 37
    Im Neuen Gelobten Land begann der Herbst mit Regen und einer vollkommenen Ratlosigkeit der Siedler: In einer Nacht waren, ohne jemandem ein Wort zu sagen, alle Bauarbeiter fortgegangen und hatten ihnen die nicht zu Ende gebaute Schule auf dem Hügel hinterlassen. Sie hatten ihre Werkzeuge mitgenommen und hatten sogar die für die Schule vorbereiteten Bretter und Balken davongeschleppt. Für den nächsten Morgen war eine Versammlung vorgesehen gewesen, vorbereitet vom buckligen Buchhalter, mit einer Rede über Zukunftspläne. Natürlich fand die Versammlung nicht statt, und gekränkt schob der Buchhalter seine sorgsam aufgeschriebene Rede unter die grasgefüllte Matratze seiner Schlafbank. Von Plänen für die Zukunft zu sprechen, wenn alle Bauarbeiter sich aus dem Staube gemacht hatten, wäre einfach dumm gewesen, denn immer wieder einmal tauchte „erbauen“, „aufbauen“, „ausbauen“ in den Plänen auf.
    So begann der Herbst. Es regnete viel. Die Lehrerin Katja zog mit ihren Schülern wieder in den von Menschen bewohnten Kuhstall um. Das Leben ging weiter.
    Die Bauern suchten mehrere Male die nahe Kolchose auf und verabredeten mit den Kolchosbauern motorisierte Hilfe. Die Weizenernte war gut, auch die Kartoffeln, die sie hinter dem Fluss gesetzt hatten, waren schön groß und mit vielen kleinen Knollen gewachsen. Sie mussten nur noch den Weizen einbringen, ihn in der nahen Kolchose mahlen, und fertig war der Vorrat an Mehl bis zur nächsten Ernte.
    Sie heizten bereits die Öfen in den von Menschen be­wohnten Kuhställen ein, immerhin war es schon Herbst, und nach ihm würde sich der Winter dem Neuen Gelobten Land nähern, der den Volksweisheiten nach streng und kalt zu werden versprach.
    Wenn nicht das Verschwinden der Bauarbeiter mit ihrem Brigadier in der ewig schmutzigen Wattejacke gewesen wäre, hätte man das Leben auf dem Hügel ganz gewöhnlich und alltäglich nennen können.
    Der Engel quälte sich noch immer, denn man behandelte ihn mit einer unangenehmen Sanftheit, ganz so als wäre er ein Kind oder von Geburt an krank. So streifte er an den Tagen umher, half mal den Melkerinnen, die Milch aus dem Kuhstall zu tragen, mal stieg er vom Hügel zum Wald hinunter, um Reisig für die Küche zu suchen. An den Abenden aber, wenn die Dämmerung die Umgebung des Neuen Gelobten Landes einhüllte, stieg der Engel aufs Neue zum Fluss hinunter und ging zum Haus von Sachar dem Ofensetzer. Er schritt leicht und froh dahin und blickte dabei auf den vagen Schein der Kerze in Sachars Fenster. Er wusste, dass dort Sachar und sein Helfer, der einhändige Pjotr, am Tisch saßen. Sie saßen da und unterhielten sich über vieles, sie stritten, schimpften, träumten. Und sie warteten, dachte der Engel, auf ihn, damit er zwischen ihnen richtete, wenn sie sich wieder einmal uneins waren. Der Vorgeschmack auf das lange Sitzen an diesem Tisch, die ebenso langen Gespräche beim Duft des geräucherten Fleischs machte den Engel froh, und nie konnte er entscheiden, was ihn stärker dorthin zog: die Achtung, die er von Seiten der beiden Hausbewohner spürte, oder die Gespräche selbst, die so anders waren als alle anderen Gespräche im Neuen Gelobten Land, oder das köstliche geräucherte Fleisch, das zart und würzig war und sich im Mund fast von selbst auflöste. Er wusste es einfach nicht.
    So klopfte er auch dieses Mal, ohne genau zu wissen, was ihn zu dieser kleinen Flamme hinter dem Fenster zog, an die Tür.
    „Ah!“, freute sich Sachar, als er den Engel sah. „Komm schnell herein, wir warten schon auf dich!“
    „Ich habe Wasser getragen“, erklärte der Engel seine späte Ankunft, während er ins Haus trat. „Sonst hätte es für die Grütze zum Frühstück nicht gereicht.“
    Der Engel setzte sich an seinen Platz am Tisch, und da beruhigte sich seine Seele, als wäre er nach dem geschäftigen Treiben des Tages nach Hause gekommen. Er begegnete Pjotrs freundlichem Blick.
    „Willst du vielleicht etwas essen?“, fragte der Einhän-dige.
    „Was fragst du da überhaupt?“, warf Sachar ein. „Natürlich will er! Er arbeitet doch anders als wir. Sieh mal, selbst im Regen holt er Wasser und Brennholz! Wir hier sitzen ja im Warmen, bei

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