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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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sorgsam aus, als beabsichtigte er, die Verpackung noch einmal zu gebrauchen.
    Endlich gelangte er zu seinem Inhalt: im Innern lagen ein Buch und ein Brief. Dobrynins Hände griffen wie von selbst nach dem Brief.

    Lieber Pascha!
    Es ist sehr gut, dass du mir geschrieben hast! Ich habe immer versucht zu erfahren, wo du jetzt bist, aber hier wusste das niemand. Tausend Dank für den Mantel und die Kekse. Der Mantel hat mir genau gepasst, und ich habe darum gebeten, dass man meinen alten, der mir zu groß war, einem Kinderheim schenkt. Neuigkeiten habe ich viele, deshalb tut mir jeden Tag der Kopf weh, und wegen meines schlechten Gedächtnisses vergesse ich vieles. In Moskau gibt es jetzt sehr viele Deutsche, und wenn ich manchmal den Kreml verlasse, sehe ich sie. Ein sehr schwaches und entkräftetes Volk, beinahe Skelette. Einfach erstaunlich, dass wir so lange mit ihnen gekämpft haben, daran waren wohl militärische Fehler schuld. Im Kreml ist das Leben stiller und ruhiger geworden, unser Dichter Bemjan Debnyj ist endlich gestorben. In den letzten Jahren hat er allerdings, scheint es, nichts mehr geschrieben, ich weiß nicht, was er in den letzten Jahren überhaupt gemacht hat. Gestern habe ich einen Erlass über die Ausweitung des Baus einer Auto­fabrik in Moskau unterzeichnet. Überhaupt gibt es im Land jetzt viele Baustellen. Es gibt im Land auch viel Banditentum, auch in Moskau. Das sind geradewegs Greueltaten, man findet fast vollständig abgenagte menschliche Skelette, nur Männer und sehr oft Kriegsoffiziere. Ich schicke dir ein „Buch über Lenin“, das ist der dritte Band, er sollte noch vor dem Krieg herauskommen, aber das wurde nicht mehr geschafft. Ich habe mich nach den Deinen erkundigt. Marija Ignatjewna lebt und ist gesund, Grigorij, dein Ältester, geht schon in die Schule, und die Kleine, deine Mascha, ist bei uns hier in der Kremlkrippe. Eines Tages habe ich sie einmal gesehen und ihr ein Bonbon gegeben …

    „Was für eine Kleine?“, entfuhr es Dobrynin. „Was für eine Mascha?“
    Betreten blickte er wieder in den Brief, suchte den letzten Satz, den er gelesen hatte, heraus und fuhr fort:

    … Dein Freund Woltschanow ist schon Oberst, aber mich grüßt er nicht. Ich weiß nicht, womit ich ihn beleidigt habe. Deine Bitte um die Versetzung an eine andere Stelle habe ich an den Genossen Swinjagin weitergegeben – er ist jetzt für die Volkskontrolleure verantwortlich. Ich habe ihn sehr gebeten, dir zu helfen. Viele Grüße an Waplachow. Wenn du im Kreml bist, komm auf jeden Fall vorbei. Ich drücke dir die Hand. Dein Twerin.

    Als er den Brief durchgelesen hatte, versank Dobrynin in tiefem Nachdenken. Es verwunderte ihn, dass in dem Brief keine Zeile über Manjascha, Petja und Darjuschka stand. Aber Twerin hatte ja selbst schriftlich bekannt, dass es schlecht um sein Gedächtnis stand, das hieß, er hatte Dobrynins erste Familie vergessen.
    „Was schreibt er?“, fragte Waplachow, während er sich zu ihm an den Tisch setzte.
    „Er schickt dir viele Grüße.“
    „Zeig!“ Waplachow glaubte ihm nicht.
    Dobrynin zeigte ihm den Teil des Briefes mit den Grüßen an Waplachow.
    Der Urku-Jemze war glücklich.
    „Er schreibt, dass es in Moskau viele Deutsche gibt, ein Dichter gestorben ist, man begonnen hat, eine Autofabrik zu bauen, der Mantel ihm gepasst hat … allerdings hat er nur die Kekse mit ihm erhalten. Von den Zigaretten hat er nicht geschrieben, wahrscheinlich hat man sie gestohlen. Was war da noch? Es gibt schreckliche Morde in Moskau …“ Da fiel Dobrynin ein, wie der Komsomolze Zybulnik umgekommen war, und auch an sein abgenagtes Pferd Grigorij dachte er.
    Es gab viel Gemeinsames zwischen den im Brief geschilderten Morden und dem Tod von Zybulnik.
    „Mitja.“ Dobrynin sah Waplachow nachdenklich an. „Weißt du noch, irgendein böser Geist hat den Komsomolzen Zybulnik erschlagen und abgenagt … und nur dieses … Teil übrig gelassen …“
    Waplachow nickte.
    „Was war das noch?“
    „Der böse Geist Ojasi“, antwortete der Urku-Jemze.
    „Und wie ist der?“
    „Klein, glaube ich, und grün“, erinnerte sich Waplachow. „Der Kopf oben platt mit einer Vertiefung, und in ihr Wasser … Es ist doch ein Sumpfgeist …“
    „Gib mir Papier und Stift“, bat Dobrynin.
    Rasch schrieb er einen kurzen Brief, in dem er das Aussehen des Geistes Ojasi schilderte und den Tod des Pferdes Grigorij und des Komsomolzen Zybulnik erwähnte. Er steckte den Brief in ein Kuvert und klebte

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