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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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können?“, fragte eine andere Frau sie spöttisch. „Na, der Buchhalter, der Engel, und das ist wohl alles! Vielleicht kann auch der Brigadier noch das ein oder andere …“
    Hier war der Buchhalter aufgefahren und führte die Frauen zu seinen Sachen, damit sie sie, bitteschön, durchsahen. Zum Glück befanden sie sich auch gleich im selben Kuhstall. Kurz darauf kamen alle zurück zu Katjas Schulecke und überlegten dort gemeinsam weiter.
    Der Engel, der ein wenig später eingetroffen war, lauschte den Gesprächen eine Weile und fragte plötzlich, ob der Dieb nicht irgendwelche Spuren hinterlassen hätte. Katja dachte nach, erinnerte sich, und da hellte ihr Blick sich auf.
    „Ja“, sie nickte. „Er ist auf mein Heft getreten!“
    „Wieso hast du das denn nicht gleich gesagt?“ Der Buchhalter breitete die Arme aus. „Na, zeig mal!“
    Katja bückte sich und holte ein etwas zerknittertes Heft unter dem Tisch hervor. Sie schlug es auf und alle konnten selbst beim trüben Licht der Petroleumlampe den Abdruck eines nackten Fußes mit einem quer verlaufenden weißen Streifen an der Sohle sehen.
    „Wer läuft denn bei uns zur Zeit barfuß herum?“, fragte der Buchhalter.
    „Das machen doch fast alle!“, antwortete ihm die Schwangere. „Wer mag denn im Sommer für nichts und wieder nichts seine Schuhe abnutzen?“
    „Das stimmt allerdings auch“, sagte der Buchhalter und seufzte.
    Der Engel nahm nun das Heft mit dem Fußabdruck und trat an die Lampe.
    „Lass nur“, sagte der bucklige Buchhalter traurig zu ihm. „Was bringst du schon aus einer Fußsohle in Erfahrung!“
    „Anscheinend war es jemand, der hinkt“, bemerkte der Engel, ohne auf den Buchhalter zu hören. „Das ist eine Narbe, an der Fußsohle. Vielleicht fällt euch ein, wer hier bei uns hinkt?“
    Die Frauen strengten ihre Köpfe an, dachten nach und überlegten.
    „Nein. So ein richtiger Hinkefuß war nur der eine Rotarmist, aber der ist schon im letzten Winter verschwunden“, erklärte die Schwangere. „Dann hat auch noch Glaschkas Pjotr eine Weile gehinkt, weil er auf die Sense getreten ist und sich in den Fuß geschnitten hat …“
    „In den Fuß geschnitten?“, wiederholte der Buchhalter erfreut. „Wo schläft er hier?“
    „Nicht hier, er und Glaschka schlafen im dritten Kuhstall hinter dem zweiten Ofen“, sagte eine Junge im weißen Kopftuch.
    „Komm, du zeigst sie uns!“, befahl der Buchhalter ihr.
    Sie fanden das Buch zehn Minuten später – auf der Schlafbank eben dieses Pjotr lag es, unter der korngefüllten Matratze.
    „So.“ Der Buchhalter sah die Zeugen der Entdeckung des Buches zufrieden an. „Jetzt müssen wir es allen sagen und Gericht halten, um den Dieb beispielhaft zu bestrafen! Habe ich Recht?“

    Durch die Stille des frühen Sommerabends hallte der laute Schall der Eisenschiene, die der bucklige Buchhalter eigenhändig mehrmals mit einem schweren Hammer schlug.
    Das Volk war schnell versammelt.
    „Heute hat es bei uns einen Diebstahl gegeben!“, erklärte der Buchhalter den Siedlern, die sich bei ihrem Gong zu­sammengefunden hatten. „Der Lehrerin wurde ein Büchlein über die Zukunft gestohlen …“
    Hier machte er eine Pause und hörte, wie die Versammelten untereinander flüsterten und sich empörten.
    „… Und da wollte ich euch fragen, was wir mit dem Dieb tun sollen, wenn wir ihn finden. Was meint ihr?“, brachte der Buchhalter seinen Gedanken zu Ende.
    „Na, wir müssen ihn ins Gefängnis stecken!“, rief ein Bauer.
    „Ordentlich verprügeln, bis er nicht mehr aufsteht …“
    „Die Hände abhacken!“
    „Also, ein Gefängnis haben wir hier nicht“, antwortete der Buchhalter auf die Rufe. „Und fürs Verprügeln, dafür braucht es kein Gericht. Er muss so bestraft werden, dass es eine Strafe ist, nicht einfach eine Prügelei! So, dass er selbst es begreift, und es auch anderen eine Lehre ist … Vielleicht weiß jemand, was es sonst noch auf der Welt für Strafen gibt? Hm? Vielleicht die Lehrerin?“ Und der Buchhalter blickte in das verweinte Gesicht von Katja, die neben ihm stand.
    Katja wischte sich die Tränen fort, trat einen Schritt nach vorn und erklärte: „Also wenn früher, beim Zaren, auch nur das Kleinste passierte, dann ging es ab ins Arbeitslager oder ins Gefängnis, und wenn man den Zaren bekämpfte, dann kam man in die Verbannung, nach Sibirien … Und noch früher gab es noch ein ganz anderes Gesetz: Beim ersten Mal Stehlen wurde die rechte Hand abgehackt, beim

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