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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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Decke, mancher schrieb einen Brief an die Seinen. Es war still im Zimmer.
    Da kam plötzlich der Leiter des Lazaretts herein.
    Er nahm einen Hocker und setzte sich wieder ans Kopfende des Bettes zu Mark Iwanow.
    „Es gibt Antwort aus Moskau“, sagte er, verhalten lächelnd. „Vom Genossen Urluchow. Man wünscht Ihnen baldige Genesung, und befiehlt, Kusma nach Moskau in die zentrale Tierklinik zu bringen …“
    Mark war bestürzt.
    „Und ich? Ich bleibe hier allein zurück?“, flüsterte er erregt und verworren.
    „Nein, Sie fahren auch bald, in einem Lazarett im Hinter­land wird man Sie auskurieren und Ihre Lunge wiederherstellen …“
    „Das kann ich nicht …“, flüsterte Mark und Tränen traten ihm in die Augen. „Kusma und ich sind schon dreizehn Jahre zusammen … Er stirbt ohne mich … Bringen Sie ihn nicht weg …“
    „Aber Sie haben doch selbst darum gebeten, es dem ZK zu melden!“ Der Oberstleutnant war ernst geworden. „Ich habe mein Versprechen erfüllt, jetzt muss ich den Befehl ausführen …“
    „Schicken Sie mich mit ihm nach Moskau!“, bat Mark heiser flüsternd. „Ich flehe Sie an!“
    Der Oberstleutnant schwieg. Er schwieg und dachte nach.
    „Wie kann ich Sie dort hinschicken? Sie sind nicht mal Major, dass man Sie in Moskau behandeln würde! Verstehen Sie?“
    Mark sah an die Decke und Tränen liefen ihm über die Wangen.
    „Wissen Sie, was“, versuchte der Leiter des Lazaretts ihn zu beruhigen. „Ich überlege mir etwas, aber ich verspreche nichts … Wenn Sie schon wieder gesund wären, dann könnten Sie den verletzten Vogel begleiten … Aber so … Ich überlege …“
    Mit einem schweren Seufzer erhob sich der Oberstleutnant und verließ das Krankenzimmer.

Kapitel 7
    Zu Sommeranfang, als die Aussaat beendet war und das Leben im Neuen Gelobten Land sich ein wenig verlangsamte, be­gann Katja die Siedler wieder abends zum Unterricht zu versammeln, der hinten in einem Winkel des Hauptkuhstalls abgehalten wurde, und ihnen das Lesen und Schreiben beizubringen. Wieder schrieben Kinder und Erwachsene allerlei Wörter und Sätze an die Tafel, und wenn sie danach müde waren, lauschten sie und merkten sich verschiedenstes nützliches Wissen.
    Zum ersten Sommer-Unterricht kam auch der Engel. Er setzte sich in die hinterste Bank und sah zu, wie Katja Petroleum in die Lampen füllte und sie dann an den in die Wand geschlagenen Haken aufhängte, damit sie alle mehr Licht hatten.
    Die erste Stunde begann dieses Mal mit Verspätung, und außer den Kindern, dem Engel und dem buckligen Buchhalter waren nur Frauen gekommen. Männer gab es keine, aber Katja ging sie auch nicht holen, weil sie wusste, dass ein müder Mann kein Wissen brauchte.
    Lange Sommertage zogen sich dahin.
    Derweil lebten die Siedler ihr Leben und ließen es sich gut gehen, während sie nach der wachsenden Ernte sahen. Sie badeten im Fluss, fingen Fische, gingen zum Beerensammeln und auf die Jagd in den Wald, und am Abend machten einige von ihnen sich zur nächsten Unterrichtsstunde in den Hauptkuhstall auf.
    Eines Tages aber, Ende Juni, trafen die Siedler, die zum Unterricht kamen, auf eine weinende Katja. Als sie sie beruhigt hatten und ausfragten, erfuhren sie, dass jemand an diesem Tag Katjas Buch des ausländischen Schriftstellers Jules Verne über die Zukunft gestohlen hatte. Unterricht fand natürlich keiner statt, und bald wussten alle Bewohner schon, was passiert war.
    Kaum hatte der Buchhalter von dem Diebstahl gehört, nahm er sogleich sein dickes Heft und eilte zu Katja. Er brachte von ihr in Erfahrung, welche Größe und welche Farbe das gestohlene Buch hatte und wovon darin die Rede war. Nebenbei sagte er ihr, dass sie solche Bücher sorgfältiger aufbewahren müsse, in einer Truhe oder an einem geheimen Ort. Zugleich aber begann er schon laut zu überlegen, wie man den Dieb ausfindig machen und das Gestohlene zurückbringen konnte. Seine Überlegungen beschränkten sich jedoch am Ende auf den Vorschlag, zu warten, bis der Dieb dieses Buch von selbst herausholen und es lesen würde, wofür sie nur so tun mussten, als hätten sie alle den Diebstahl vergessen. Mit diesem Vorschlag war allerdings keiner der Anwesenden einverstanden.
    „Man muss die Sachen von allen, die lesen können, überprüfen!“, sagte eine sommersprossige Schwangere, die im Unterricht stets ganz vorne saß. „Vielleicht findet es sich ja bei einem von denen!“
    „Wie viele gibt es denn bei uns, die lesen und schreiben

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