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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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nickte und neigte sich näher zu der Hand. Er legte sie selbst noch einmal zurecht, sah nach, wo die nicht durchtrennten Sehnen waren, und schlug sie mühelos durch. Dann schubste er die Hand von dem Klotz.
    Pjotr war zur Erde gefallen und lag dort still, wie ein Toter.
    „Tragt ihn zu Sachar, er soll den Stumpf ausbrennen, sonst fließt bis morgen früh das ganze Blut aus!“, sagte der Buchhalter zu den Männern.
    Die Männer hoben den Dieb auf und gingen.
    „Das war’s, ich geh schlafen!“, sagte der Brigadier, hieb das Beil in den Klotz und schritt los zum Hauptkuhstall.
    Der Buchhalter bemerkte, dass er allein am Hackklotz zurückgeblieben war. Er sann über etwas nach. Und hörte plötzlich das Quietschen einer Tür, anscheinend waren die Männer bereits bei Sachars Räucherei angelangt.
    Er lehnte sich an den Hackklotz und blickte in den Himmel.
    Die Dunkelheit war schon dicht geworden, nur die Sterne waren darin sichtbar. Helle und matte, große und kleine, sie zitterten, glitzerten, sprangen vom Himmel und stürzten zu dieser Erde herunter, doch ehe sie ankamen, erloschen sie auf halbem Weg und verschwanden vor den Augen.
    ‚So ist das also?‚, dachte der Buchhalter verwundert. ‚Dann sterben sie wohl da oben am Himmel auch? Ich muss die Lehrerin fragen … Das ist sehr interessant … Vielleicht, wenn man vom Himmel herunter schaut, leuchten wir hier auch, solange wir lebendig sind, und wenn wir sterben, erlöschen wir genauso und sind nicht mehr zu sehen …‘
    Die nächtliche Dunkelheit wurde immer noch dichter, und ausser den Sternen konnte der Buchhalter schon nichts mehr erkennen. So saß er da auf dem Klotz, umgeben von einer geheimnisvollen, erkalteten, bis zum Morgen verstummten Welt. Er saß da und sann nach.

Kapitel 8
    Die Zeit verging. Der Sommer jenseits des Polarkreises unterschied sich kaum vom Winter. Draußen war es kalt wie zuvor, und im Innern des kleinen Waggons ebenso warm, manchmal sogar fast heiß.
    Dobrynin und Waplachow hatten sich mit den vier Geologen herzlich angefreundet. Sie waren so etwas wie eine Familie geworden. Jeder hatte bereits seinen festen Platz an der Tischkiste, seinen Löffel mit dem in den Griff eingeritzten Namen, seine Tasse.
    So lebten sie in der Erwartung des künftigen Zuges. Sie aßen ihr merkwürdiges Fleisch, tranken nicht weniger merkwürdigen Fleischbranntwein und wärmten sich an dem Ofen, den geniale sowjetische Chemiker eigens für den unwirtlichen hohen Norden erfunden hatten. Auch Waplachow wusste mittlerweile, dass die Wärme in dem Ofen dadurch entstand, dass man dort zwei Stoffe hineinwarf: einen von erdiger Farbe, und einen zweiten, gelblichen. Dann goss man Wasser darüber und schloss diese Öffnung sofort, während es drinnen schon schäumte, zischte und es im Wagen unglaublich warm wurde.
    Monat um Monat zog dieses Warten sich hin.
    Die Hunde waren bereits einer weniger geworden – aus unerklärlichem Grunde hatten sie ihren Leithund zerfleischt. Und mehrere Schneestürme von unglaublicher Stärke hatten den Wagen hin und her geschüttelt. Alles hatte es unterdessen gegeben. Nur die Eisenbahnschienen hatte man noch nicht bis zu ihnen verlegt.
    Ab und an, wenn das Fleisch fast aufgegessen war, das sie unter dem Eingang stapelten, zogen alle sechs sich warm an, packten Spitzhacken und Äxte und gingen los, um dort, wo es am leichtesten war, Stücke erstarrter Mammuts aus dem Eis herauszuschlagen. An dieser Stelle legten sie ein großes Quadrat frei. Sie arbeiteten nicht lange, und in wohl anderthalb Stunden versorgten sie sich mit dem Vorrat für die nächsten drei Wochen.
    Manchmal funkten sie nach Moskau, um zu erfahren, welchen Wochentag sie hatten und was es beim Eisenbahnbau Neues gab. Die Nachrichten waren immer tröstlich und gaben ihnen Hoffnung.
    Und eines Tages, es war ein Dienstag, piepte die Funkstation von selbst los und gab dem Funker irgendein Signal. Goroschko stürzte hin, nahm auf seinem Kistenhocker Platz, und nachdem er zum Bleistiftstummel gegriffen hatte, begann er die Mitteilung zu notieren. Gespannt saßen die Übrigen da und warteten auf die Neuigkeiten. Spalte um Spalte füllte sich die Seite des großen Heftes mit Strichen und Punkten, aber außer dem Funker konnte damit niemand etwas an­fangen. Endlich ließ Goroschko den Kopfhörer auf den Metallkasten der Funkstation sinken, las noch einmal den Funkspruch durch und drehte sich zu seinen Genossen um.
    „Der Schienenverlegezug, und hinter ihm noch ein Zug,

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