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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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Kremlpalastes zugebracht hatte. Still war es gewesen, nur die Füllfedern hatten gekratzt.
    Nicht weniger als tausend Schuldirektoren waren dort versammelt gewesen, alle in Anzügen, alle mit Aktentaschen. Interessant war, dass, als man die Pause verkündete, alle Direktoren – na ja, nicht ganz alle, vielleicht nur die, die in seiner Nähe saßen – vollkommen identische Wurstbrote herausholten.
    Banow lächelte.
    Er legte das Buch beiseite.
    Sah auf die Uhr.
    Rief Karpowitsch an.
    Draußen vor dem Fenster regnete es heftig.
    „Und, wie steht es dort?“, fragte Banow Karpowitsch.
    „Dort?“, wiederholte Karpowitsch und begriff sofort, woran sein Kamerad dachte. „Dort ist alles gut.“
    „Hast du vielleicht etwas herausgefunden … wegen meines Besuchs mit Klara?“
    „Es geht am Donnerstag“, flüsterte Karpowitsch. „Treffen wir uns am selben Ort um neun. Komm mit einer Akten­tasche, damit es seriös aussieht. Sie soll auch eine mitnehmen. Klar?“
    „Ja“, antwortete Banow.
    „Also bis dann.“
    Am Donnerstag sah Banow, der als Erster eingetroffen war, in der Nähe den ihm schon bekannten Milizionärsposten. Der Milizionär hatte Banow anscheinend ebenfalls erkannt und kam auf ihn zu.
    „Warten wir auf die Genossin?“, fragte er freundlich.
    „Ja“, antwortete Banow.
    „Und wohin anschließend? Ins Museum?“
    „Nein“, antwortete Banow und blickte auf seine Aktentasche. „In den Kreml …“
    Der Milizionär blickte ebenfalls auf Banows braune Aktentasche.
    Der Schuldirektor fühlte sich unbehaglich. Die Akten­tasche war recht alt, noch am Morgen hatte Banow eine halbe Stunde mit dem Versuch zugebracht, sie mit Hilfe seiner braunen Schuhcreme aufzufrischen. Nun schienen Banows Aktentasche und seine Schuhe gleichsam Verwandte zu sein, als wären sie Bestandteil eines ungewöhnlichen Anzugs.
    Der Milizionär hatte das mit der Aktentasche offenbar erraten. Er berührte sie mit dem Finger, roch dann an seinem Finger und lächelte.
    „Eine gute Idee!“, sagte er zustimmend. „Ich bin immer noch nicht im Museum gewesen …“
    Banow beschloss die Unterhaltung fortzusetzen, umsomehr, als der Milizionär ihm gefiel, allem Anschein nach war er ein einfacher, herzlicher Bursche.
    „Hatten Sie keine Zeit?“, fragte Banow.
    „Einen freien Tag hatte ich …“, bemerkte der Milizionär. „Aber ich wurde beauftragt, die Neujahrsglückwünsche zu schreiben …“
    „Dafür ist es aber früh!“, staunte Banow.
    „Lieber frühzeitig … Ich muss ja hundertvierzig Glückwünsche schreiben.“
    „Haben Sie so viele Freunde?“ Banow lächelte.
    „Nein“, antwortete der Milizionär. „Es sind die Glückwünsche unserer Abteilung an die anderen Abteilungen. Das ist nicht kompliziert, aber es nimmt viel Zeit in Anspruch.“
    Banow nickte verständnisvoll.
    Da kam Klara, in den Händen eine rote Lederaktentasche, die ganz neu aussah.
    Der Milizionär verabschiedete sich höflich und kehrte auf seinen Posten zurück.
    Bald darauf erschien Karpowitsch in seinem dunkelblauen Dienstanzug.
    Zu dritt betraten sie den Kreml. Rasch und geschäftig klapperten Klaras Absätze auf dem betonierten Weg an der Innenmauer des Kremls entlang. Banow und Karpowitsch gingen geräuschlos neben ihr.
    Schon war da auch das vertraute niedrige Gebäude hinter den blauen Tannen. Die Tür stand weit offen.
    „Wir müssen zu Fuß hinuntergehen“, sagte Karpowitsch, nachdem er im Innern des Gebäudes Halt gemacht hatte. „Der Aufzug ist kaputt gegangen, und ohnehin passt man zu dritt ja auf keinen Fall hinein.“
    Sie gingen einen Korridor entlang, bogen nach links und tauchten in völlige Finsternis ein.
    Feuchte Luft kitzelte in der Nase.
    Klara nieste, und ein dumpfes Echo lief irgendwohin über unsichtbare Gänge und Stufen abwärts.
    Für den Weg nach unten brauchten sie ungefähr eine Stunde. Banows Augen gewöhnten sich an die Finsternis, er konnte sogar die Gestalten der vor ihm gehenden Klara und Karpowitsch unterscheiden.
    Schließlich endeten die Stufen.
    Karpowitsch öffnete eine Flügeltür. Dahinter war es hell.
    Ein leerer Raum. An den Wänden Plakate über die Wachsamkeit und über die Liebe zur Heimat. Eine weitere Tür mit einer Aufschrift: „Passierschein vorzeigen!“.
    Banow warf Karpowitsch einen fragenden Blick zu.
    „Da ist jetzt niemand“, beruhigte ihn Karpowitsch. „Gehen wir!“
    Hinter dieser Tür schien die Sonne. Als Klara über die Schwelle trat, kniff sie die Augen zusammen.
    Banow

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