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Der unersättliche Spinnenmann

Der unersättliche Spinnenmann

Titel: Der unersättliche Spinnenmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pedro Juan Gutierrez
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Aussehen war ekelhaft. Ich stellte mir eine Nahaufnahme über eine ganze Seite vor, mit der Schlagzeile: »Ich überlebte den Taifun«. Das wäre gutes Material. Ich machte gern solche außergewöhnlichen Storys, die die Leser fesselten und sie zwangen, bis zu Ende zu lesen. Manche lasen meine Reportagen zwei- oder dreimal und schrieben dann Lobeshymnen an die Redaktion. Darin erwähnten sie, was für ein toller Reporter ich sei, und meine Kollegen kriegten Schaum vor den Mund und wurden gelb vor Neid. Manche hassten mich so sehr, dass sie es nicht verbergen konnten. Mir machte das großen Spaß. Gute Journalisten sind immer große Arschlöcher gewesen.
    Iván machte Fotos. Der Typ erzählte immer wieder, wie wichtig er gewesen war im Leben, und kramte Diplome, Zertifikate und Verdienstorden hervor. Er fühlte sich wie ein großer Star und erzählte mir von seinen Auszeichnungen und lobte sich selbst über den grünen Klee, weil er jedes Jahr für irgendetwas Blut spendete. Schließlich schaffte ich es doch, ihn zur Geschichte mit dem Taifun zu bringen. Das Einzige, was mich interessierte, war die komplette Story.
    Der Typ legte los. Der Taifun hatte sie überrascht, und sie konnten nicht mehr ausweichen. Vier Tage lang hatte er sie in der Gewalt, trieb sie vor sich her und brachte sie von ihrem Kurs ab.
    »Ich war der Vertrauensmann des Kapitäns. Der Kapitän gab mir alles weiter.«
    »Und Sie waren Decksmatrose oder …?«
    »Ich war die Küchenhilfe. Der Koch und seine Hilfe sind sehr wichtige Leute auf einem Schiff. Die wichtigsten nach dem Kapitän. Schauen Sie mal, ich will Ihnen ein paar Diplome zeigen, die man mir in der Botschaft von …«
    »Nein, nein. Später. Machen Sie mit der Geschichte vom Taifun weiter. Was geschah dann?«
    »Es waren noch zwei Tage bis Japan. Wir wollten pünktlich ankommen, um beim Gewerkschaftskongress dabei zu sein, weil …«
    »Konzentrieren Sie sich bitte auf die Taifungeschichte, sonst nichts. Wie ging’s weiter?«
    »Plötzlich kam der Sturm auf, und die Wellen gingen über uns hinweg. Das passierte in wenigen Minuten. Völlig überraschend. Stellen Sie sich mal vor, wie stark der Sturm gewesen sein muss, wenn ich Ihnen sage, dass ich den Kopf aus dem Bullauge steckte und der Wind mir die Augenlider hochklappte. Die Wimpern klebten mir oben an den Augenbrauen.«
    »Hm, und das Schiff drohte zu kentern?«
    »Na klar, das war ja das Problem. Die Seeleute fingen alle an, Heiligenbildchen und Kerzen und Glücksbringer hervorzuholen, Amulette. Und knieten nieder, beteten und zündeten Kerzen an für die elftausend Jungfrauen. Fast alle hatten Heiligenbildchen versteckt …«
    »Aber das ist doch logisch. In einer solchen Situation …«
    »Nein, nein, Compañero, das war streng verboten! Nichts Religiöses. Die Religion war verboten, Compañero! Wir hielten immer Studienkreise ab über den wissenschaftlichen Atheismus. Wir mussten doch ein Beispiel sein für die junge Generation, weil der Obskurantismus doch …«
    »Ja, okay, schon gut. Alle hatten also Heiligenbildchen versteckt. Und dann?«
    »Sie dürfen das mit den Heiligenbildchen auf dem Schiff nicht schreiben! Denn das war ja verboten und …«
    »Machen Sie sich keine Sorgen.«
    »Ihr Reporter schreibt ja immer, was ihr nicht schreiben sollt, und bringt einen in Schwierigkeiten.«
    »Keine Angst, machen Sie mit dem Taifun weiter.«
    »Ein paar der Leute wurden unheimlich nervös und sagten mir, sie wollten lieber ins Wasser springen, weil das Schiff dabei wäre, unterzugehen. Ich lief gleich zum Kapitän und erzählte es ihm. Ich war auch der Vertrauensmann für die Leute, verstehen Sie?«
    »Ja, ja.«
    »Und der Kapitän sagt zu mir: ›Mongo, immer, wenn einer ins Wasser springen will, muss er in die Krankenabteilung gebracht werden. Wir dürfen keinen einzigen Mann verlieren. Diese Aufgabe übertrage ich dir.‹ Und ich frage ihn: ›Warum in die Krankenabteilung?‹ Und er antwortet: ›Das geht dich nichts an, Monguito, du bringst sie nur in die Krankenabteilung, ob sie wollen oder nicht. Der Krankenpfleger weiß schon, was er mit ihnen machen muss.‹ In der Krankenabteilung verpasste man ihnen ein paar Spritzen, und dann schliefen sie vierundzwanzig Stunden lang. Sie fielen um wie vom Schlag getroffen.«
    »Aber wenn das Schiff untergegangen wäre …«
    »Ja, stellen Sie sich vor. Da hätten sie halt am Meeresgrund weitergeschlafen. Wenn aber einer gesprungen wäre, dann wären alle anderen hinterher, und das

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