Der unersättliche Spinnenmann
bisschen zu kokett vorgekommen, sogar den Freunden gegenüber, die zu Besuch kamen.
Schließlich beruhigte sich Iván. Da hörte ich plötzlich Chiquito. Der weinte auch. Ich saß ganz still da, um besser zu hören. Tatsächlich. Er heulte wie ein Schlosshund, hatte den Kopf unter die Laken und das Kopfkissen gesteckt und weinte wie ein kleines Kind. Durch das Fenster kam Licht herein, und ich konnte ihn gut sehen. Vielleicht hatte er sich bei Iván angesteckt. Er heulte, und sein Riesenkörper schüttelte sich in Weinkrämpfen. Das Bett konnte zusammenbrechen dabei. Ich rechnete schnell nach. Wir mussten schon für das Telefon bezahlen. Wenn wir auch noch für das Bett blechen mussten, dann blieb uns nichts anderes übrig, als sofort nach Havanna zurückzukehren, ohne Geld und ohne Reportagen. Das Leben von Führungspersönlichkeiten ist hart. Man muss an alles denken. Die Massen denken nicht nach und rechnen auch nicht nach und lassen sich von ihren Gefühlen mitreißen. Ich nahm noch einmal meine Rolle an. Sehr vorsichtig, mit väterlicher Nachsicht, sagte ich:
»Chiquito, warum weinst du? Wein doch nicht! Was ist denn los?«
Der Riesenkerl schüttelte sich wie ein Elefant, und das Bett ächzte, und er weinte immer noch heftig. Ich wollte schon weiter auf ihn einreden und ihm vorschlagen, er solle wenigstens im Stehen weinen, aber Iván hatte sich wieder erholt und machte mir ein Zeichen. Ich hielt inne. Iván sagte:
»Kleiner, möchtest du ein Glas Wasser? Wein doch nicht mehr. Weshalb weinst du denn so?«
»Wegen meiner Mutter. Meine Mutter machte genau dasselbe mit meinem Vater.«
»Was machte sie mit ihm?«
»Das, was deine Frau macht. Dasselbe passierte meinem Vater. Der ließ sich dauernd Hörner aufsetzen. Tag für Tag kläfften sie sich gegenseitig an wie zwei Köter.«
»Okay, es reicht, hör schon auf.«
»Meine Mutter ist eine Hure und mein Vater ein Säufer und ein Hurenbock, Iván. Meine Mutter ist eine Nutte.«
Iván fing wieder an zu weinen. Jetzt weinten beide drauflos. Ich setzte mich aufs Bett und verschränkte die Arme. Um mich herum drehte sich alles. Zwei heulende Besoffene sind keine gute Gesellschaft. Zum Glück war ich ein Sieger. Sieger heulen nie. Sie haben einfach keinen Grund dazu. Sie sind eben Sieger. Ich brauchte jetzt eigentlich einen Schluck Rum, aber er war alle. Ich ging vor die Tür, um frische Luft zu schnappen. Die beiden schluchzten immer noch. Herablassend sah ich sie an und legte mich in einen Liegestuhl am Swimmingpool. Ich schloss die Augen und schlief sofort ein.
Iván weckte mich sehr früh am nächsten Morgen. Nacheinander duschten wir und rasierten uns. Ich teilte Aspirin-Tabletten aus. Zwei für jeden. Dann gingen wir frühstücken. Lächelten uns an. Sprachen über alles Mögliche, außer über die vergangene Nacht. Die drei Wächter hatten ihre Schicht beendet, wir sahen sie nicht mehr. Nichts war geschehen. Wir tranken mehrere Tassen sehr schwarzen Kaffee und fuhren los, Richtung Berge.
Es war nicht die Zeit der Blumenblüte. Es gab nur ein paar kleine, hässliche Dahlien. Ich konnte nicht über die tolle Arbeit der heldenhaften Blumenzüchter dort schreiben, ohne ein paar gute Fotos zu bekommen. Dagegen stießen wir auf einen interessanten Typen. Das ist immer was für die Leser: Leute, die anders sind und Abenteuer erlebt haben. Der Mann war ungefähr fünfundsechzig. Er lebte bettelarm in einer ziemlich windschiefen Holzhütte, hatte zehn Kinder und neunundzwanzig Enkel. Mit seiner Frau war er zusammen, seit sie beide vierzehn gewesen waren. Fünfzig Jahre später sagten sie, dass sie sich immer noch liebten und zweimal am Tag miteinander schliefen. Das sagten sie voller Stolz und ohne rot zu werden. Sie wirkten glücklich, trotz der Armut, in der sie lebten. Es gab nicht mal Stühle in dieser Hütte mitten in den Bergen. Der Typ war sein ganzes Leben lang Seemann gewesen und in der ganzen Welt herumgekommen. Im Alter war er hierher in seine Berge zurückgekehrt. Er war sehr zufrieden mit sich selbst und sagte immer wieder:
»Ich habe es zu etwas gebracht im Leben. Ich habe wichtige Dinge getan. Und Sie müssen wissen, wenn ich noch lebe, dann ist das wie ein Wunder. Ich habe einen Taifun im Pazifik überlebt. Nur wenige Menschen auf der Welt haben jemals einen Taifun auf dem Meer überlebt.«
Der Typ war sehr hässlich und hatte viele Falten, schwarze Pickel und Warzen im Gesicht. Er hatte sich schon seit Tagen nicht mehr rasiert. Sein
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