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Der unersättliche Spinnenmann

Der unersättliche Spinnenmann

Titel: Der unersättliche Spinnenmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pedro Juan Gutierrez
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bekreuzigen sich und beten leise. Julia und ich stehen in der Tür und schauen zu. Ich denke, dass irgendein geheimes Waffenlager oder ein Säuretank in die Luft geflogen sein könnte. Aber alle wollen im Feuer etwas Transzendentales sehen. Die Leute warten immer auf ein Zeichen Gottes. Sie möchten, dass er sich um sie kümmert und ihnen persönlich erscheint. Ich bin drauf und dran, metaphysisch zu werden, als ich einen Typen aus dem Viertel bemerke, der eilig auf seinem Fahrrad nach Hause kommt. Niemand beachtet ihn. Alle schreien vor Panik oder beten. Ich rief ihn:
    »Hallo, komm mal her. Was ist denn da in die Luft geflogen?«
    Der Typ gehört mit drei oder vier Brüdern, die in einer Hütte in der Orangenplantage leben, zu den Rinderdieben. Nachts stehlen sie Kühe und Ochsen von den Weiden, schlachten sie und verkaufen im Morgengrauen das Fleisch. Die Polizei schnappt sie manchmal, lässt sie aber immer gleich wieder laufen. Man hat nie genügend Beweise. Und sie machen weiter mit ihrem Geschäft.
    Jetzt hält der Typ bei mir an:
    »Die Leute sind verrückt geworden, Alter! Was ist denn mit denen los?«
    »Sie sind erschrocken.«
    »Von wegen erschrocken, die machen sich ja die Hosen voll vor Angst!«
    »Also, erzähl mal.«
    »Im Umspannwerk von El Tamarindo ist die Hölle los. Die Transformatoren fliegen alle in die Luft, und das Feuer hat schon auf die Häuser drumrum übergegriffen.«
    »Ah!«
    »Da explodieren Dinger von vierhunderttausend Volt. Es heißt, dass es Sabotage war. Und die Polizei ist schon da … Die Feuerwehr ist gerade gekommen, aber die Polizei hat schon abgesperrt.«
    »Und dich haben sie immer im Visier. Verschwinde in deinem Haus und lass dich bloß nicht sehen.«
    »Fürs Rinderstehlen gibt’s ein paar Jahre, aber für Terrorismus und Sabotage … Du weißt schon … Die sehen mich da und nehmen mich gleich mit.«
    »Aber wenn du nichts damit zu tun hast, dann …«
    »Mach dir nichts vor. Besser, die sehen mich gar nicht. Ich verschwinde in die Büsche. Die Nacht ist ideal zum Ochsenschlachten. Um drei Uhr in der Früh bin ich wieder hier und bring dir ein Stück Filet. Extra für dich als guten Kunden.«
    »Bring mir besser gar nichts. Julia und ich fahren heute Nacht nach Havanna zurück, und ich will keine Probleme auf der Autobahn.«
    »Ah, sei nicht blöd, Kumpel. Mit Feigheit kommt man nicht weit im Leben.«
    »Nein, mein Lieber, ich will nichts. Auf der Autobahn durchsuchen sie einen manchmal drei oder vier Mal. Ich hab keine Lust auf Stress.«
    »Okay, Kumpel, selber schuld. Dann verhungerst du halt in Havanna.«
    Er fuhr weiter und brüllte aus vollem Hals, dass es ein Brand im Umspannwerk von El Tamarindo war. Er schrie und lachte dabei schallend. Keine Ahnung, weshalb er lachte.
    Die Leute beruhigten sich nach und nach. Zwei Stunden später war alles dunkel und still. Alle gingen schlafen. Julia warf sich aufs Bett, und zwei Minuten später schnarchte sie auch schon. Ich setzte mich in die Tür und behielt die Uhr im Blick. Ein Nachbar aus dem Viertel war Busfahrer. Um ein Uhr morgens fuhr er nach Havanna. Wir hatten abgemacht, mit ihm zu fahren, aber wir hatten keinen Wecker dabei. Ich beschloss, wach zu bleiben.
    So saß ich zwei Stunden in der Dunkelheit und besah mir den Himmel und die Sterne und die dunklen Schatten der Bäume. Es war schön kühl. Ein frischer Luftzug vertrieb die Moskitos und den Gestank nach Schweinescheiße. Irgendwo bellte ein Hund. Ich mag das Alleinsein und die Stille. Ich schaute in den Himmel, und ich weiß nicht, ob ich irgendetwas dachte. Wahrscheinlich schon. Man denkt immer irgendwas. Vielleicht würde ein UFO auftauchen. Manchmal ist eins in der Nähe. Es richtet sein Licht ein paar Minuten auf mich und verschwindet wieder. Mehr Zeichen haben sie mir bis jetzt noch nicht gegeben. Aber es ist besser, nicht über dieses Thema zu schreiben. Es ist so halsbrecherisch, wie über Gott zu schreiben. Die Leute mögen keine schwer fassbaren Themen. Das Unfassbare beleidigt die Intelligenz und die Vernunft moderner Menschen.
    Um ein Uhr weckte ich Julia und machte Kaffee. Wir tranken ihn schnell und im Stehen, schlossen das Haus gut ab und gingen los. Es war sehr dunkel, aber Julia kennt die Sandwege mit Schlamm- und Wasserpfützen auswendig. Der Busfahrer hatte seinen Bus vor dem Haus abgestellt. Im Vergleich zu den morschen, vergammelten Holzhütten ohne Farbe sah das Fahrzeug aus wie ein riesiges, dunkles Monster. In einer Tür saß eine Frau

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