Der unersättliche Spinnenmann
ich zwischen vierunddreißig und vierundvierzig. Und ob ich meinen Spaß hatte!« Schließlich schloss sie das Häuschen ab und ging nach Havanna, um mit mir zu leben. Beide wollten wir ein paar Gänge zurückschalten. Die zahllosen Liebeleien und die Probleme hinter uns lassen und ein bisschen häuslicher werden. Wollten uns umeinander kümmern und Ruhe finden. Fünf Jahre sind seither vergangen. Eine lange Zeit. Jetzt wollen wir wieder Ballast abwerfen und unserer Wege gehen. Aber man soll nichts überstürzen. So, nach und nach, ist es besser.
Manchmal fahren wir nach Santa Clara und bleiben drei, vier Tage in ihrem Häuschen. Viel länger halte ich es nicht aus. In der Gegend bleibt einem die Luft weg. Das Schlimmste ist, dass dort alle Schweine und Hühner züchten. Der Gestank, die Fliegen und die Moskitos machen mir schlechte Laune. Das Viertel besteht aus ein paar Straßen, die von den näher am Zentrum gelegenen Vierteln kommen und in einer riesigen staatlichen Zitrusplantage enden. Hinter den Zitrusbäumen gibt es Kuhställe, Viehherden und große Weideflächen. So um die fünfzig Meter westlich von Julias Haus endet die Straße, und es beginnen die Orangenhaine. Von Zeit zu Zeit kommt irgendein armer Teufel, der kein Dach mehr über dem Kopf hat, mit einer verwahrlosten Frau und einer Reihe Kinder und baut eine Baracke. Sie suchen sich ein paar halb verfaulte Bretter und Blech- oder Plastikstücke zusammen, basteln daraus eine Hütte, nehmen der Orangenplantage ein paar Meter weg und besetzen nach und nach die gesamte Plantage. Anscheinend ist das den Chefs dort egal, oder sie schauen einfach weg. Ein Anthropologe wäre glücklich hier, er könnte studieren, was hier alles rumkreucht und -fleucht. Die ganze Nachbarschaft besteht aus Leuten, die Grenzen überschreiten, schrägen Typen, die daran gewöhnt sind, am Rande des Abgrunds zu leben. Die meisten haben keine Arbeit und sind immer mal wieder im Knast. Da gibt es eine Familie von Zwergen, zwanzig oder dreißig arme, schmutzige Zwerge, die nicht lesen und schreiben können. Niemand weiß, woher sie die paar Pesos holen, die sie zum täglichen Leben brauchen. Dauernd kommen Leute auf dem Fahrrad vorbei, um etwas zu verkaufen: Bananen, Bonbons, Rasierklingen. Keiner kauft was. Niemand hat Geld. Die meisten Mädchen werden schwanger, ohne zu heiraten, und kriegen Kinder über Kinder. Immer spielen Dutzende von ihnen auf der Straße, schmutzig und barfuß. Ein paar der Mädchen, die cleversten, schaffen es, diesem Schicksal zu entkommen, und hauen ab nach Varadero, um Touristen abzuschleppen. Der Star des Viertels ist eine achtzehnjährige Mulattin, die seit acht Monaten in Wien lebt. Sie hat einen neunundfünfzigjährigen Österreicher geheiratet. Einmal habe ich ihre Mutter gefragt, woher sie den Namen des Mädchens hatte. Iusneivi. Sie sagte:
»Ihr Vater sagt, dieser Name ist in Guantánamo total in Mode. Er stammt von da, er wohnte in La Caimanera, gleich neben dem Stützpunkt.«
Erst später verstand ich. Der Vater lebte neben der Marinebasis der U.S. Navy. Iusneivi schickt oft Fotos. Ihre Mutter zeigt sie stolz herum und versichert, dass der Österreicher Millionär ist. Iusneivi ist ein nützliches Vorbild. Einige – die Hübschesten – folgen ihrem Beispiel und hauen ab nach Varadero. Es gibt auch ein paar sehr Fromme da. Das sind die Reumütigen, die gestohlen haben, ihren Männern untreu waren, gelogen und betrogen haben, die Frau des Nächsten begehrten, Gott lästerten, Götzen anbeteten und die Toten um Rat fragten. Also die bekehrten Sünder. Sie gehören kleinen Sekten an. Jetzt, mitten im Strafgericht, sind sie mit der Bibel in der Hand auf die Straße hinausgerannt. Erst waren es zehn oder zwölf. Dann immer mehr. Schließlich waren es dreißig oder vierzig. Sie haben sich an den Händen gefasst und im Angesicht des hell erleuchteten Himmels Kirchenlieder angestimmt. Die Kinder und Frauen schreien vor Angst. Die Panik hat von allen Besitz ergriffen. Die Zwerge sind zum Ende der Straße geflohen und zwischen den Orangenbäumen verschwunden. Man könnte sich auch tatsächlich in die Hosen scheißen. Keiner weiß, was los ist. Dies ist ein Viertel mit kleinen, niedrigen Häusern und großen Bäumen: Mango, Avocado, Mamey, Flamboyant, Ceiba, Guanábana. Alle Arten von Bäumen. Im Dunkel der Nacht verwandelt der rote Schein der Explosionen das Ganze in eine teuflische Szene. Ein paar alte Frauen lassen sich nicht von der Panik besiegen. Sie
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