Der Ungnädige
«
» Wie bitte? « , fragte ich– plötzlich interessiert– ins Telefon, nachdem Dec die Tür hinter sich geschlossen hatte.
» Deine Schwägerin. Hat er dir das nicht gesagt? Sie hat ein Verhältnis. Und zwar schon eine ganze Weile. «
» Mit wem denn? « Darauf eine geradlinige Antwort zu bekommen, war eindeutig zu viel erwartet.
» Natürlich würde er nie zugeben, dass sie im Unrecht ist. So ist dein Bruderherz eben. Ständig muss er sie in Schutz nehmen. Er kann sie einfach nicht als das sehen, was sie ist. Dieses kleine Luder. «
» Mum, fang doch bitte mal von vorn an. Ich versteh gar nichts. «
» Wenn du zugehört hättest, wüsstest du Bescheid. Sie hat eine Affäre mit einem verheirateten Mann. Einem Vater, den sie von der Schule der Mädels kennt– kannst du dir das vorstellen? Und deinem armen Bruder ist das ja so peinlich. Was nicht heißen soll, dass er unschuldig ist. Er macht bei der ganzen Sache auch nicht gerade eine gute Figur. «
» Ich verstehe nicht, was daran seine Schuld sein soll, wenn Abby eine Affäre hat « , widersprach ich halbherzig.
» Zu einer Ehe gehören immer zwei, Maeve. Auch wenn dir das wahrscheinlich nicht bewusst ist. «
» Das Prinzip Ehe ist mir durchaus geläufig, Mum. «
Darauf sprang sie an wie eine giftige Kobra. » Also, an deinem Benehmen lässt sich das ja nicht gerade erkennen. «
» Schön. « Ich holte tief Luft. Ein Königreich für Geduld. » Hier geht es nicht um mich, Mum. Es ist Abby, die eine Affäre hat. Du findest, dass Dec daran nicht ganz unschuldig ist. Das findet er übrigens auch. «
» Hat er das gesagt? Der arme Junge. Das alles nimmt ihn so furchtbar mit. «
Nicht zuletzt sicher auch die Tatsache, dass seine Mutter sich nicht entscheiden konnte, auf wessen Seite sie eigentlich stand. Ich sah auf die Uhr und erschrak. Ich konnte nur hoffen, dass Rob sich verspätete.
» Mum, jetzt erzähl mir doch mal von Anfang an, was passiert ist. Ich würde es wirklich gern wissen, denn Dec war nicht sonderlich gesprächig. «
Das war das Stichwort, auf das sie wohl gehofft hatte. Die folgende Viertelstunde über beschränkten sich meine Gesprächsbeiträge auf » Ach du liebe Güte! « , » O nein! « und » Ist nicht wahr! « , während Mum mir eine höchst voreingenommene und zweifellos unpräzise Beschreibung einer traurig vorhersehbaren Geschichte lieferte. Dec arbeitete meistens bis tief in die Nacht, weil er versuchte, angesichts drohender Rezession sein Geschäft zum Laufen zu bringen. Abby saß währenddessen mit zwei kleinen Mädchen zu Hause und fühlte sich vernachlässigt– außer wenn die Mädchen in der Schule waren und sie sich mit anderen Müttern treffen und die Zeit vertreiben konnte. Gelegentlich auch mit einem nicht berufstätigen Vater, der sich wohl ebenfalls ein bisschen vernachlässigt fühlte. Keiner von beiden hat sich viel dabei gedacht oder damit gerechnet, erwischt zu werden. Und das wurden sie auch nicht. Es war Abby, die in einem Anfall von schlechtem Gewissen die Sache beendete und Dec davon berichtete– in der Erwartung, dass er ihr auf der Stelle verzeihen würde. Doch das funktionierte nicht. Es war typisch für meinen Bruder, dass er sich selbst die Schuld dafür gab, nicht vergessen zu können, was seine Frau getan hatte. Und ebenso typisch war es, dass er sich verantwortlich dafür fühlte, dass sie sich überhaupt von ihm entfernt hatte.
Ehrlich gesagt konzentrierte ich mich nicht allzu sehr auf die Einzelheiten. Ich war in Gedanken immer noch bei Decs Vorwurf, ich würde vor Verpflichtungen davonlaufen. Dabei wollte ich doch nur den Richtigen finden und mich erst dann binden, auch wenn der Gedanke, mich in meine Mum zu verwandeln, absolut nicht verlockend war. Aber ich musste auch an meine berufliche Entwicklung denken. Eine feste Beziehung mit Rob war undenkbar. Zum einen wäre es eine enorme Ablenkung, zum anderen bestünde auch die Gefahr, dass einer von uns beiden aus Godleys Team flog. Es war ein ungeschriebenes Gesetz, dass direkte Kollegen keine Beziehung zueinander eingingen– was auch kein Problem darstellte, solange das Team aus lauter heterosexuellen Kerlen bestand– so wie es war, bevor ich dazukam. Und ich hatte keine Lust, das Klischee der überambitionierten Nachwuchsermittlerin zu bedienen, die sich durch das gesamte Dezernat schlief.
Zudem musste ich auch an Rob denken. Ich war der Auffassung, dass wir beide erwachsen waren und, solange wir ehrlich miteinander umgingen, tun und
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