Der Ungnädige
lassen konnten, was wir wollten und keiner etwas dabei fand. Nur schien das nicht zu funktionieren. Ich wollte nicht verletzt werden und mochte auch Rob nicht verletzen. Der eng anliegende, tief ausgeschnittene Pullover erschien mir immer unpassender. Ich ging ins Schlafzimmer und fahndete nach etwas Diskreterem, während Mum nahtlos von » Ich hab immer gewusst, dass Abby keine gute Wahl war– er hätte sie wirklich nicht heiraten sollen « überging zu » Na, wenigstens einer von euch hat geheiratet. Die Leute fragen mich ja ständig nach dir « .
» Du brauchst ihnen doch nicht alles zu erzählen. Es gibt halt nicht viel zu sagen. « Ich hielt einen langen, schwarzen Pullover mit rundem Ausschnitt und einem Loch im Ärmel in die Höhe– ein Teil, das man anzieht, wenn man die Grippe hat, sich sterbenselend fühlt und etwas braucht, das zu dieser Stimmung passt. Perfekt. Selbst eine Nonnentracht wäre reizvoller gewesen. » Mum, hör mal, ich muss jetzt Schluss machen. Bei mir kommt gleich jemand zum Essen vorbei. «
» Ein Mann? «
» Nur ein Freund. « Ich drückte die Daumen und ließ sie wieder locker. Genau das war Rob schließlich. » Ein Kollege. Kennst du nicht. « Wenn sie gewusst hätte, dass es Rob war, wäre sie nur viel zu aufgeregt gewesen. Seltsamerweise vergötterte sie ihn regelrecht, obwohl er keinem einzigen ihrer zahlreichen Kriterien bezüglich potenzieller Schwiegersöhne entsprach.
» Konnte ja nur jemand von deiner Arbeit sein. Außer deiner Arbeit hast du ja nichts im Kopf. «
Ich verdrehte die Augen. » Stimmt, Mum. Kann ich dich morgen noch mal anrufen? «
Kurze, leicht beleidigte Pause. » Ja, sicher. Aber nicht vergessen. «
» Bestimmt nicht. « Sogar in meinen eigenen Ohren hörte sich das Versprechen fragwürdig an. Aber vielleicht rief ich sie ja tatsächlich an. Wenn ich so richtig masochistisch drauf war.
Ich legte auf, aber noch ehe ich zum Umziehen kam, klopfte es an der Tür. Leise fluchend ging ich, um aufzumachen, und stand im selben Augenblick Rob gegenüber, der– beladen mit drei Einkaufstüten– schon im Hausflur wartete. » Wie bist du ins Haus gekommen? «
» Einer deiner Nachbarn hat sich meiner angenommen. « Ich überlegte, wer das gewesen sein konnte– Chris? Er stellte die Tüten ab. » Weiter lässt du mich nicht rein? Soll ich mich schon mal drauf einstellen, hier draußen zu kochen? «
» Sorry. Komm rein. « Er griff nach seinen Tüten und schob sich an mir vorbei, während mir durch den Kopf ging, dass es völlig unnötig gewesen war, über einen anderen Pullover nachzudenken– er hatte mich kaum angesehen. Ich wartete, bis er drin war, und fragte: » Welcher Nachbar? «
» Eine Frau. Osteuropäerin, würde ich sagen. Nettes Lächeln. «
» Das muss Szuszanna gewesen sein. Sie kommt aus Ungarn und arbeitet als Erzieherin, sagt zumindest mein Vermieter. Ich hab sie selbst noch nicht gesehen. Ich weiß nur, dass sie einen schweren Schritt hat und auf West-End-Musicals steht. Gestern Abend gab es zum Beispiel den Soundtrack von Carousel. «
» Interessante Wahl. «
» Du hast nicht richtig gelebt, wenn du noch nie nachts um drei ›You’ll Never Walk Alone‹ in Endlosschleife gehört hast. «
» Vielleicht ist sie Liverpool-Fan. «
» Nicht auszuschließen. « Ich beobachtete Rob, wie er im Wohnzimmer umherschlenderte und das Mobiliar begutachtete– und ertappte mich dabei, wie froh ich war, dass es nicht Chris gewesen war, der ihn ins Haus gelassen hatte. Chris schnitt in jeder Hinsicht schlechter ab. Rob war schlank und fit und mir in körperlicher Hinsicht absolut ebenbürtig, während Chris dürr und schmächtig wirkte. Rob strotzte vor Selbstvertrauen, Chris war wie ein bedürftiges, aber ständig nur getretenes Hündchen. Unter seiner ungezwungenen Schale war Rob hart wie Stahl. Chris eher nicht, wie er in Gegenwart meines Bruders bewiesen hatte. Chris tat mir leid, dafür, dass er mich offenbar mochte, und dafür, dass ich mir nicht vorstellen konnte, für ihn dasselbe zu empfinden. Und ich tat mir selbst leid, dass ich über Rob nicht genauso denken konnte. Freunde. Wir sind nur Freunde. Was ich gedacht hatte, versicherte ich mir, hatte rein gar nichts zu bedeuten, außer dass er mir gefiel, in rein ästhetischer Hinsicht. Was im Wesentlichen unter Beweis stellte, dass der Weg von der Selbsterkenntnis zur tröstlichen Selbstverleugnung für mich ein sehr kurzer und geläufiger war.
Rob, dem mein emotionales Chaos komplett
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