Der unmoegliche Mensch
Stimmengewirr von einem mehr sporadischen Geschnatter abgelöst. Gelegentlich verstummte der Lärm ganz, und alle richteten sich auf und gebärdeten sich ungeduldig wie auf den lange verzögerten Beginn eines öffentlichen Spektakels wartend. Pelham, der von seinem Platz aus den Strand sorgfältig beobachten konnte, erkannte diese Ausbrüche von Ruhelosigkeit, wenn alles in langen Wellen nach vorn drängte, an dem metallischen Blinken von Tausenden von Kofferradios, die sich schaukelnd bewegten. Jeder der aufeinanderfolgenden Ausbrüche, die in etwa halbstündigen Abständen wiederkehrten, schien die Menge dem Wasser ein Stück näher zu bringen.
Direkt unter dem Betonrand der Terrasse hatte sich eine große Familiengruppe in der Menschenmenge ein privates Gehege abgegrenzt. Auf der einen Seite, buchstäblich in Reichweite von Pelham, hatten die jugendlichen Mitglieder der Gruppe ihr eigenes Nest gebaut. Ihre schlacksigen Körper in dem knappen feuchten Badeanzug lagen so ineinander verschlungen da, daß sie aussahen wie ein komisches, ringförmiges Tier. Sie waren in bequemer Hörweite von Pelham, so daß er trotz des ständigen Lärms vom Strand und von dem Vergnügungspark ihr geistloses Gerede mithören konnte. Er verfolgte die Kette von Kommentaren an ihrem Radio, während sie wahllos von einer Station zur anderen schalteten.
»Sie wollen wieder einen Satelliten starten«, erzählte er Mildred. »Echo XXII.«
»Warum machen sie sich die Mühe?« Mildreds trübe blaue Augen betrachteten den Dunst draußen über dem Wasser. »Ich hätte gedacht, da flögen schon mehr als genug herum.«
»Nun ja…« Für einen Augenblick überlegte sich Pelham, ob er die kärgliche Ansatzmöglichkeit für ein Gespräch, die die Erwiderung seiner Frau bot, nutzen sollte. Obzwar sie mit einem Physiologiedozenten verheiratet war, reichte ihr Interesse an wissenschaftlichen Dingen kaum weiter als bis zu einer allumfassenden Verdammung des ganzen Gebietes. Seinen Posten an der Universität tolerierte sie, zeigte aber nur Geringschätzung für das unordentliche Büro, die ungepflegten Studenten und die ihr unverständlichen Laborgeräte. Pelham hatte nie herausbekommen können, welchen Beruf sie eigentlich anerkannt haben würde. Vor ihrer Heirat hatte sie, wie ihm später aufgegangen war, über seine Arbeit nur höflich geschwiegen; nach elf Jahren hatte sich diese Einstellung kaum geändert, obgleich die Notwendigkeit, mit seinem mageren Gehalt auszukommen, sie dazu gezwungen hatte, sich für das unendlich kraftraubende Spiel der Aufstiegschancen an Karriereleitern zu interessieren.
Wie zu erwarten, hatte ihre scharfe Zunge ihnen nicht viele Freunde eingebracht, aber paradoxerweise hatte Pelham das Gefühl, daß er von dem Respekt profitierte, den sie sich damit verschafft hatte. Manchmal fand er Spaß an ihren giftigen Bemerkungen, die sie, immer mit lauter Stimme mitten in einer Gesprächspause, bei den viel zu langen Sherrypartys fallen ließ, weil sie oft so zutreffend waren. Aber im allgemeinen lag etwas Erschreckendes in ihrem Mangel an Sympathie für die übrige Menschheit. Ihr großes ausdrucksloses Gesicht mit dem kleinen, affektierten Rosenknospenmund erinnerte Pelham an eine Beschreibung der Mona Lisa, von der einer gesagt hatte, sie sehe aus, als hätte sie eben ein Stück von ihrem Gatten verspeist. Aber Mildred lächelte nicht einmal.
»Sherrington hat eine ziemlich interessante Theorie über die Satelliten«, erzählte ihr Pelham. »Ich hatte gehofft, wir würden ihn treffen, daß er sie uns noch einmal erklären könnte. Ich glaube, es würde dich amüsieren, sie zu hören. Er beschäftigte sich augenblicklich mit AAM…«
»Womit?« Die Leute hinter ihnen hatten ihr Radio lauter gestellt, und ein Bericht über die Schlußphase des Countdown am Kap Kennedy schallte über ihre Köpfe hinweg.
Pelham sagte: »AAM – Angeborene Auslöser-Mechanismen. Ich habe sie dir schon früher erklärt; es sind ererbte Reflexe…« Er verstummte und sah seine Frau ungeduldig an.
Mildred hatte ihm den gleichen unbewegten Blick zugeworfen, mit dem sie auch die andere Menschen am Strand betrachtete. Gereizt sagte Pelham: »Mildred, ich versuche dir Sherringtons Satellitentheorie zu erklären.«
Ungerührt schüttelte Mildred den Kopf. »Roger, es ist zu laut hier. Ich kann unmöglich zuhören. Und Sherringtons Theorien will ich noch weniger hören als die anderer Leute.«
Fast unmerklich lief eine neue
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