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Der unmoegliche Mensch

Der unmoegliche Mensch

Titel: Der unmoegliche Mensch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. G. Ballard
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verlassenen Parkplatz am Kai von Tripolis fand er einen neuen Peugeot, den ein französischer Raffinerietechniker zurückgelassen hatte, und fuhr entlang der Siebenuhrlinie nach Süden, durch die staubigen Städte und vorbei an den halbverwehten Silberskeletten der Raffinerien am ausgetrockneten Fluß. Im Westen brannte die Wüste im goldenen Dunst der stillstehenden Sonne. Durch das Hitzeflimmern schienen sich die Metallschaufeln der Wasserräder neben den leeren Bewässerungsanlagen in der heißen Luft zu drehen und auf ihn zuzuschleudern.
     Im Osten waren die Ufer des Flusses in den dunklen Horizont geätzt, die Rücken aus freiliegendem Kalkstein sahen aus wie eine Vorbühne der Zwielichtwelt. Halliday bog zum Fluß hin ab und folgte der alten Schotterstraße, die am Fluß entlang führte, wobei das Licht nach Osten zu abnahm. Die Mitte der Flußrinne, in der weiße Felsbrocken aus dem Geröll herausragten, lag da wie das Rückgrat eines alten Sauriers.
     Einige Kilometer von der Küste entfernt fand er Columbine Sept Heures. Vier Touristenhotels standen inmitten der Dünen, die in die Straßen gewandert waren und die Chalets und Schwimmbecken in der Nähe der Kunstschule zugedeckt hatten. Die Straße verschwand vor dem »Hotel Oasis«. Halliday verließ den Wagen und stieg zu der stauberfüllten Halle hinauf. Der Sand lag in Spitzenmustern auf dem Fliesenfußboden, gegen die pastellfarbenen Lifttüren und die toten Palmen des Restaurants geweht.
     Halliday stieg ins Halbparterre hinauf und blieb an dem großen, gesprungenen Fenster hinter den Tischen stehen. Was von der schon halb im Sand begrabenen Stadt noch übrig war, schien von dem gesprungenen Glas in eine andere Dimension übertragen, als ob der Raum den Verlust der Zeit zu ersetzen versuchte, indem er sich so bizarren Verzerrungen unterwarf.
     Nachdem er sich schon entschlossen hatte, in dem Hotel zu bleiben, ging Halliday auf die Suche nach Wasser und irgendwelchen zurückgelassenen Lebensmittelvorräten. Die Straßen waren menschenleer, verstopft von dem Sand, der auf den ausgetrockneten Fluß zuwanderte. Ab und zu tauchten die wolkigen Fenster eines Citroen oder Peugeot aus den Dünen auf. Über ihre Dächer schreitend, gelangte Halliday an die Auffahrt zur Kunstschule. Gegen den purpurroten Mantel der Dämmerung hob sich das eckige Gebäude wie ein weißer Vogel hervor.
     In den Studentengalerien hingen die verblaßten Reproduktionen von einem Dutzend verschiedener Malschulen, Abbildungen von Welten ohne Bedeutung. Immerhin fand Halliday, in einer Nische zusammengefaßt, die Surrealisten Delvaux, Chirico und Ernst. Diese fremdartigen Landschaften, die von Träumen inspiriert waren, welche seine eigenen nicht mehr reflektieren konnten, erfüllten Halliday mit einer tiefen Sehnsucht. Vor allem Delvauxs Bild »Das Echo«, das eine nackte, junonische Frau darstellte, die unter einem mitternächtlichen Himmel zwischen Ruinen dahinschritt, erinnerte ihn an seine eigene immer wiederkehrende Phantasie. Das unendliche Sehnen, das in dem Bild lag, die synthetische Zeit, die durch die sich entfernenden Abbilder der Frau geschaffen wurde, gehörten zu der Landschaft seiner ungesehenen Nacht. Halliday fand eine alte Mappe auf dem Fußboden unter einem der Böcke und begann, die Gemälde von den Wänden abzunehmen.
     Als er über das Dach zu der Freitreppe über dem Auditorium ging, wurde unter ihm Musik gespielt. Halliday suchte die Vorderfronten der leeren Hotels ab, deren Sichtwände sich wie blinde Spiegel in die Abendluft erhoben. Hinter der Kunstschule waren die Chalets für die Studenten um zwei leere Schwimmbecken angeordnet.
     Als er am Auditorium ankam, spähte er durch die Glastür über die leeren Sitzreihen. In der Mitte der ersten Reihe saß ein Mann in einem weißen Anzug und mit Sonnenbrille, mit dem Rücken zu Halliday. Ob er der Musik tatsächlich lauschte, konnte Halliday nicht sagen, aber als die Platte drei oder vier Minuten später zu Ende war, stand er auf und stieg auf die Bühne. Er schaltete die Stereoanlage ab und kam dann zu Halliday herübergeschlendert, sein langes Gesicht mit dem leicht inquisitorischen Ausdruck hinter der Sonnenbrille versteckt.
     »Ich bin Mallory – Dr. Mallory.« Er streckte ihm eine feste Hand entgegen. »Bleiben Sie hier?«
     Die Frage schien ein vollständiges Verständnis für Hallidays Motive zu beinhalten. Halliday legte die Mappe ab und stellte sich vor. »Ich wohne im ›Oasis‹. Ich bin heute

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