Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der unmoegliche Mensch

Der unmoegliche Mensch

Titel: Der unmoegliche Mensch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. G. Ballard
Vom Netzwerk:
deren Kämme von dem geisterhaften Licht berührt wurden, traten zurück wie die Wellen einer mitternächtlichen See.
     Trotz des fast statischen Lichts, das auf diese endlose Dämmerung festgelegt war, schien das trockene Flußbett mit fließenden Farben ausgefüllt zu sein. Während der Sand von den Ufern rieselte und die Quarzadern und die Betoncaissons der Uferbefestigung bloßlegte, flammte der Abend kurz auf, von innen heraus erleuchtet wie ein Lavasee. Hinter den Dünen ragten alte Wassertürme und die halbfertigen Apartmentblocks in der Nähe der römischen Ruinen bei Leptis Magna aus der Dunkelheit heraus. Im Süden, wohin Hallidays Blicke dem gewundenen Flußlauf folgten, wurde die Dunkelheit von den tief indigoblauen Bändern des Bewässerungssystems abgelöst. Die Kanäle bildeten ein schönes, skelettartiges Gitterwerk.
     Diese ständige Verwandlung, deren Farben so fremdartig waren wie die bizarren Gemälde, die an den Wänden seiner Zimmer hingen, schien Halliday die verborgene Perspektive der Landschaft zu enthüllen und die der Zeit, deren Zeiger auf den Dutzenden von Uhren auf Kaminsims und Tischen fast festgefroren schienen. Die Uhren, die nach der nicht wahrnehmbaren Zeit des ewigen Tages gestellt waren, hatte er mit nach Nordafrika gebracht, in der Hoffnung, daß sie hier in der psychischen Nullebene der Wüste wieder lebendig werden könnten. Die toten Uhren, die von den Türmen und Hotels auf die verlassenen Städte herabstarrten, waren die einzigartige Flora der Wüste, die unbenutzten Schlüssel, die den Weg in seine Träume aufschließen würden.
     Mit dieser Hoffnung war er drei Monate zuvor nach Columbine Sept Heures gekommen. Der Zusatz, der allen Städtenamen angehängt wurde – es gab London 6 p. m. und Saigon midnight –, bezeichnete ihre Position auf der fast stationären Erdoberfläche, die Zeit des endlosen Tages, in der der nicht mehr rotierende Planet sie liegengelassen hatte. Fünf Jahre lang hatte Halliday in der internationalen Siedlung von Trondheim in Norwegen gewohnt, in einer Zone ewigen Schnees und Eises, bestimmt auch durch Fichtenwälder, die, von der nie untergehenden Sonne genährt, um die Städte herum immer höher wuchsen und sie in ihrer eigenen Isolierung einsperrten. Diese Welt nordischer Düsternis hatte Hallidays latente Schwierigkeiten mit der Zeit und mit seinen Träumen aufgedeckt. Die Schwierigkeit, Schlaf zu finden, selbst in einem verdunkelten Raum, plagte alle – da war das Gefühl der Zeitvergeudung, obwohl doch keine Zeit zu verstreichen schien, da die Sonne unbeweglich am Himmel hing –, aber Halliday verfolgten noch besonders seine unterbrochenen Träume. Immer wieder geschah es, daß er aufwachte und das gleiche Bild vor Augen hatte: die mondbeschienenen Plätze und die klassischen Fassaden einer alten Stadt am Mittelmeer und eine Frau, die in einer schattenlosen Welt durch Kolonnaden geht.
     Diese warme Nachtwelt konnte er nur finden, wenn er nach Süden zog. Dreihundert Kilometer östlich von Trondheim war die Dämmerungsgrenze, ein Korridor aus frostigen Winden und Eis, der sich bis in die russische Steppe erstreckte, wo verlassene Städte unter Gletschern lagen wie eingeschlossene Edelsteine. Im Gegensatz dazu war die Nachtluft in Afrika noch warm. Westlich der Dämmerungsgrenze lag die kochende Wüste Sahara, deren Sandmeere zu Glasseen geschmolzen waren, aber in dem schmalen Streifen entlang des Terminators wohnten einige Menschen in den alten Touristenstädten.
     Hier, in Columbine Sept Heures, einer verlassenen Stadt neben dem ausgetrockneten Fluß, acht Kilometer von Leptis Magna entfernt, sah er Gabrielle Szabo zum erstenmal. Sie kam auf ihn zu wie aus seinen Träumen. Hier traf er auch Leonora Sully, die verrückte, unbekümmerte Malerin bizarrer Phantasien, und Dr. Richard Mallory, der versuchte, Halliday zu helfen und ihm seine Träume wiederzugeben.
     Warum Leonora in Columbine Sept Heures war, konnte Halliday verstehen, aber manchmal kam ihm der Verdacht, daß Dr. Mallorys Motive so unklar waren wie seine eigenen. Der große, kühle Arzt, seine Augen stets hinter einer dunklen Brille versteckt, die sein verschlossenes Innenleben zu betonen schien, verbrachte die meiste Zeit im Auditorium der Kunstschule, des Gebäudes mit dem weißen Kuppeldach, wo er die in den Alben zurückgebliebenen Quartette von Bartok und Webern durchspielte.
     Diese Musik war das erste, was Halliday hörte, als er in der Wüstenstadt ankam. Auf dem

Weitere Kostenlose Bücher