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Der unmoegliche Mensch

Der unmoegliche Mensch

Titel: Der unmoegliche Mensch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. G. Ballard
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auf.
     »Interessant. Halliday?«
     »Natürlich. Wie ist es mit Ihren Träumen, Doktor? Wo bewahren Sie sie auf?«
     Mallory gab keine Antwort, er sah Halliday nur mit seinen dunkel versiegelten Augen an. Mit einem Lachen, das die leichte Spannung zwischen den zwei Männern vertrieb, setzte Leonora sich neben Halliday auf den Stuhl.
     »Das wird Richard uns nicht erzählen, Mr. Halliday. Wenn wir seine Träume entdecken, brauchen wir unsere eigenen nicht mehr.«

    Diese Bemerkung sollte Halliday sich in den folgenden Monaten noch oft wiederholen. In mehrfacher Beziehung schien Mallorys Anwesenheit in der Stadt der Schlüssel zu all ihren Rollen zu sein. Der Arzt im weißen Anzug, der leise durch die versandeten Straßen ging, erschien wie der Geist des vergessenen Mittags, der in der Dämmerung wiedergeboren wurde, um zwischen den leeren Hotels umherzuschweben wie seine Musik. Schon bei ihrem ersten Zusammentreffen, als Halliday neben Leonora saß und einige automatische Bemerkungen machte, aber nur wahrnahm, daß ihre Hüfte und ihre Schulter ihn berührten, spürte er, daß Mallory, welche Gründe auch immer er für seine Anwesenheit in Columbine haben mochte, sich zu vollständig der unklaren Welt der Dämmerungszone angepaßt hatte. Für Mallory waren Columbine Sept Heures und die Wüste schon ein Teil seiner inneren Landschaft, die Halliday und Leonora Sully noch in ihren Bildern suchten.
     Aber während seiner ersten Wochen in der Stadt an dem ausgetrockneten Fluß dachte Halliday mehr an Leonora und an die Einrichtung seines Lebens im Hotel. Mit Hilfe seiner 24Stunden-Rolex versuchte er immer noch, um »Mitternacht« einzuschlafen und sieben Stunden später aufzuwachen, oder besser, sich einzugestehen, daß er nicht schlafen konnte. Dann, zu Beginn seines »Vormittags«, machte er einen Rundgang durch die Zimmerflucht im siebenten Stock, wo die Bilder an den Wänden hingen, und ging danach in die Stadt, um die Hotelküchen nach Wasser und Lebensmittelkonserven zu durchsuchen. In dieser Zeit – eine willkürlich gewählte Spanne, die er der neutralen Landschaft auferlegte – hielt er sich mit dem Rücken gegen den östlichen Himmel, um der dunklen Nacht auszuweichen, die aus der Wüste über das trockene Flußbett herübergriff. Im Westen zitterte der leuchtende Sand unter der überhitzten Sonne wie das letzte Erwachen der Welt.
     In diesen Stunden schienen Dr. Mallory und Leonora unter der ärgsten Müdigkeit zu leiden, so als ob ihre Körper noch an den Rhythmus des früheren Vierundzwanzigstundentages gewöhnt wären. Beide schliefen in unregelmäßigen Abständen – oft besuchte Halliday Leonora in ihrem Chalet und fand sie in ihrem Liegestuhl neben dem Becken schlafend, ihr Gesicht von dem Schleier ihres weißen Haares bedeckt und durch das Gemälde auf der Staffelei gegen die Sonne abgeschirmt. Diese merkwürdigen Phantasien, mit den Bischöfen und Kardinälen, die in Prozessionen über ornamentale Landschaften zogen, waren alles, womit sie sich beschäftigte.
     Dagegen verschwand Mallory wie ein weißer Vampir in seinem Chalet und tauchte einige Stunden später erfrischt wieder auf. Nach den ersten Wochen kam Halliday mit Mallory ganz gut zurecht. Sie hörten sich im Auditorium gemeinsam die Webernquartette an oder spielten bei Leonora neben dem leeren Schwimmbecken Schach. Halliday versuchte herauszufinden, wie Leonora und Mallory in die Stadt gekommen waren, aber keiner von beiden beantwortete seine Fragen. Er entnahm den Gesprächen nur, daß sie vor einigen Jahren getrennt in Afrika angekommen waren und mit dem westwärts über den Kontinent ziehenden Terminator von Stadt zu Stadt gezogen waren.
     Gelegentlich reiste Mallory zu irgendeinem unerklärten Zweck in die Wüste; dann traf Halliday Leonora allein. Sie machten zusammen Spaziergänge den ausgetrockneten Fluß entlang oder tanzten nach den Aufnahmen von Massaigesängen in der Völkerkundebibliothek. Hallidays zunehmende Abhängigkeit von Leonora wurde abgeschwächt durch das Wissen, daß er nicht nach Afrika gekommen war, um diese weißhaarige Frau mit den freundlichen Augen zu suchen, sondern die nachtwandelnde Lamia aus seiner eigenen Vorstellung. Als ob sie das gewußt hätte, hielt Leonora immer Abstand, lächelte Halliday nur über die merkwürdigen Bilder auf ihrer Staffelei an.
     Diese angenehme menage à trois sollte drei Monate dauern. Während dieser Zeit rückte die Dämmerungsgrenze um einen weiteren Kilometer näher

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